Essen gehen als Pflichtprogramm
Manchmal treibt Integration seltsame Blüten.

Vor diesem Landeskunde-Test hatte ich keine Ahnung, daß man "draußen nur Kännchen" bekommt. Könnte dadran liegen, daß ich die deutsche Tasse Kaffee so klein finde, daß es sich kaum lohnt, sich dafür hinzusetzen und auch drinnen immer ein Kännchen haben will.

Das man vor dem Studium einen Sprachtest ablegen soll, verstehe ich ja noch. Selbst wenn die Unterrichtssprache Englisch sein sollte, gibt es da draußen eine Welt, und die spricht in Deutschland deutsch.

Einige Grundregeln für den Verkehr mitzugeben wie "in Deutschland fährt man nicht auf der gleichen Straßenseite wie in Indien" kann im Einzelfall auch hilfreich sein, macht aber nicht immer Sinn. Außerdem traue ich eigentlich jedem zu, daß selbst festzustellen....

Aber Restaurantbesuche zum PFLICHTprogramm zu machen? Als freiwilliges Zusatzangebot gerne, aber als verpflichtenden Teil eines Deutschkurses? Muß nicht, wenn Sie mich fragen.

Ich habe durchaus einen recht großen Anteil internationaler Studis kennengelernt. Viele davon aßen freiwillig tatsächlich nicht in der Mensa- alles in Sauce ertränkt erschien der Französin unlecker, warum also hingehen wenn sie eh mittags nur ein Sandwich gewöhnt war und abends kochte?
Die Asiatinnen konnten mit den Dauerkartoffeln oft nichts anfangen und waren von zu Hause kalten Reis mit Gemüse (Stichwort "Bento") zum Mittag gewöhnt.

Wenn sie in der Mensa aßen, dann entweder wegen neugier auf Deutschland und deutsches Essen (das betraf vor allem die Asiatinnen) oder weil halt alle gingen, und da kam man dann haltwegs unauffällig durch.

Restaurantbesuche sind teuer, das ist ein Auslandsjahr oder gar -Studium eh schon, wenn man jeden Pfennig von zu Hause bekommt, dann spart man auch eher als wenn das BAFÖG halbwegs pünktlich und ausreichend eintrudelt. Geht übrigens auch vielen deutschen Studis so.

Restaurantbesuche sollte man vielleicht der Privatinitiative überlassen statt sie zum Pflichtprogramm eines Deutschkurses zu machen, durch's Studium kommt man zum Glück auch ohne Thüringer Klöße :-)




loco-just-loco am 22.Dez 12  |  Permalink
Wenn man schon um Erlaubnis fragen muß, um fünf ausländische Studenten an einen Restauranttisch zu setzen... *vogelzeig*
Ach ja, wo stand's? Im Spiegel? Na dann. Da ist das journalistische Niveau mittlerweile noch schlechter als im französischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen, und das ist schon so grauenhaft, daß die Leute, die das können, lieber "heute" gucken.

cassandra_mmviii am 22.Dez 12  |  Permalink
ich bin beim Tischreservieren auch noch nie nach meiner Nationalität gefragt worden :-)

Wenn man allerdings einen Diavortrag im Restaurant plant, ist es schon ok, als Wirt zu sagen "nee, lieber nicht".
Wenn man sagt "ich muß einem Haufen Ausländer zeigen, wie man ißt, und dazu brauche ich einen Diavortrag", wird der Wirt auch eher nein sagen, und das muß nichts mit Rassismus zu tun haben.

Aber am krassesten finde ich, daß in dem Artikel stand, das Ganze wäre verpflichtender Teil eines Deutschkurses.

murxus am 22.Dez 12  |  Permalink
"Sie hat den Kurs mit deutscher Gründlichkeit vorbereitet, für Studenten, die oft nicht einmal in die Mensa gehen, weil sie lieber in den Wohnheimen ihre eigenen Gerichte kochen."

Ich denke dieser Satz zeigt ausreichend die Notwendigkeit eben solche Massnahmen durchzuführen.

Für Menschen, die meinen, ein Auslandsstudium sei entweder für ein interessanteren Lebenslauf bei der Bewerbung oder die renomiertere Universität, der irrt.

Ziel ist die Menschen & Völkerverständigung. Und die findet nicht im Studentenzimmer statt.

Zahnstocher mögen banal sein, aber Schuhsohlen in arabischen Nationen jmnd. ins Gesicht halten ist auch nicht opportun. Und in Asien überreicht man selbst Visitenkarten beidhändig nach vorn mit einer leichten Verbeugung.
Was Sitte ist und was nicht - wie wärs barfuss im Badeanzug durch die Kirche?
Mit Schuhen durch die Moschee?
Ach, JETZT ist Sitte plötzlich doch nicht belanglos?

cassandra_mmviii am 22.Dez 12  |  Permalink
Das hehre Ziel der Völkerverständigung... immer wieder beschworen, nie erreicht.
Der einzelne Student wird kaum "laß mal Völerverständigung machen" denken, wenn er ein Jahr ins Ausland geht, sondern eher seine persönlichen Optionen im Auge haben und das ist auch völlig berechtigt.


Der Deutschkurs ist PFLICHT. Ob man es verpflichtend machen will, im Restaurant zu essen.... dadrüber kann man offensichtlich geteilter Meinung sein. Ich halte es für Unfug. Es essen ja nicht mal alle Deutschen regelmäßig in deutschen Restaurants.


Nochmal, für den Fall, daß Sie es überlesen haben: das ganze war keine freiwllige Veranstaltung des Studentenwerks, ASTAs oder irgendeines Kulturvereins, sondern VORRAUSSETZUNG dafür, daß man studieren darf in Ilmenau.
Wenn man das auf freiwlliger Basis anbietet ist das was völlig anderes.

Wenn man lieber Reis&Gemüse statt deutscher Kartoffeln ißt, dann soll man das dürfen. Alles andere ist Ernährungstotalitarismus.

Das ist Nanny-Staat pur- statt drauf zu vertrauen, daß Leute schon nicht zu doof sind, eigene Erfahrungen zu machen, alles vorschreiben.


Wann man in Jordanien oder Korea die Schuhe auszieht, kriegen Einheimische übrigens recht gut kommuniziert, wenn man bei ihnen in die Wohnung trappelt.

Deutschland dem Kellner darf man also nicht sagen soll, daß es einem nicht geschmeckt hat.
Das tue ich halbwegs regelmäßig- ich sollte zum Integrationskurs nehme ich an.
Mein Schwiegervater tut das übrigens auch und es führte einmal dazu, daß der Koch kam, ihm in gut italienischer Sitte beidseits geküßt hat und das ganze nochmal in "richtig" gemacht hat. Spaghetti Carbonara sind in Deutschland was mit Sahnesauce und Kochschinken, Koch und Kellner waren sich aber einig, daß man dafür in Italien die Scheinbeine gebrochen bekäme (das sagten sie wirklich!). Also bekamen wir, obwohl satt, nochmal das ganze in "echt", Koch war begeistert.

In Rom stehen vor den touristisch interessanten Kirchen sowohl sich beschwerende Touris als auch ein "Aufpasser", der dadrauf hinweist, daß man weder mit Eis noch mit Hund noch mit nackten Schultern rein darf, und damit haben seltsamerweise Leute aus wirklich anderen Kulturen weniger Probleme als die geographisch und kulturell doch recht nahen Deutschen. Die beschweren sich am lautesten... ich murmle dann immer "permesso", gucke italienisch und falle nicht auf. Die kongolesische Ordensschwester war völlig verdattert als ich zugeben mußte, daß ich leider nicht genug Italienisch verstünde, ich sei Deutsche. Wir wechselten dann ins Französische. Sie wollte mich doch nur auf die frisch restaurierte Decke aufmerksam machen. Fand ich nett von ihr.


Sitte ist nicht belanglos- Zweitfach Kulturanthropologie :-) Aber man kann sie nur begrenzt im Crashkurs vermitteln und manches scheint mir eher die Privatmeinung der Dozentin zu sein.
Im Land leben und ansatzweise offen sein für das, was um einen herum passiert, ist auch ein Weg.

tama am 22.Dez 12  |  Permalink
Das ist Nanny-Staat pur- statt drauf zu vertrauen, daß Leute schon nicht zu doof sind, eigene Erfahrungen zu machen, alles vorschreiben.
Warum nur denke ich gerade an Studienreformen?

cassandra_mmviii am 22.Dez 12  |  Permalink
Ja, das geht in die gleiche Richtung :-)

Der R. (ein halbwegs regelmäßiger Beitragslieferant) hat auch ein Auslandssemseter hinter sich.
Ohne solide Sprachkenntnisse ging es los, mit dem Auto ins Gastland an die Gastuni. Angekommen stellte er dann fest, daß nicht alle Spanier Englisch sprechen. Ach, echt?
Sein Studienprogramm wurde zwar auf Englisch geliefert, aber erstens war sein Englisch limitiert (DVDs auf Englisch mit deutschen Untertiteln gucken ist halt nicht flüssig sprechen oder verstehen), zweitens führte es dazu, daß er nichts außer dem vorgesehenen Studienprogramm mitmachen "konnte".

Klar hätte ihn ein verpflichtender Spanischkurs, ein verpflichtendes Begleitprogramm etc gut geholfen, aber ein Studium ist nur begrenzt dafür da, geholfen zu kriegen, es soll neben Fachkenntnissen auch Selbständigkeit, Eigeninitiative usw födern. Allein in der Fremde ist man ins Wasser geworfen und muß schwommen. Die "soft skills", die man dabei entwickelt, sind nicht zu unterschätzen.
Wenn man sich also nur durchschlumpft... dann ist das ein Stück weit die eigene Schuld.

Der R. hat übrgens nach einem Vierteljahr beschlossen, daß er nicht mehr zurückfährt. Er blieb nach Weihnachten einfach zu Hause. Das mit der Sprache, der anderen Uni und den Leuten... war einfach nicht so wie er sich das vorgestellt hatte.

Sein Auslandsjahr so hinter sich zu bringen sagt einiges über jemanden aus.

Man kann übrigens (zumindest meiner Ansicht nach) all' die Vorzüge eines Auslandsaufenthaltes durchaus nutzen, auch wenn einem die einheimische Küche eher fremd bleibt. Das sind Sachen, die man nicht verordnen kann.


Ich käme mir ernsthaft veräppelt vor, wenn ich im Ausland arbeiten sollte/wollte und dort erst mal so einen Kurs absitzen müßte, statt das man mir erst mal zutraut, mich vielleicht halbwegs kultursensibel oder auch nur unauffällig zu benehmen.
Das ganze auf freiwilliger Basis gerne: allein würde mir vielleicht irgendwas spannendes entgehen.

Ich bin übrigens auch keine Freundin von verpflichtenden Deutschkursen, Integrationskursen etc. Erst mal alleine probieren, das gibt vielleicht die eine oder andere etwas seltsame Situation, aber das gehört halt dazu.
Ja, es gibt immer wieder LÖeute, denen es gelingt, auch nach Jahren in einem x-beliebigen Land immer noch nicht nach dem Weg fragen zu können. Das ist bedauerlich- für sie. Dann Hilfe anzubieten ist das eine, aber deswegen alle samt und sonders zum Sprachkurs zu schicken ist mit Kanonen auf Spatzen schießen.

stimmviech am 23.Dez 12  |  Permalink
Sprachtraining ist viel wichtiger. Denn dann folgen mehr soziale Kontakte zum Gastland und ein Verständnis für die Sitten und Gebräuche des Gastlandes entsteht automatisch.

kelef am 23.Dez 12  |  Permalink
zuallererst sollte die dozentin einen benimm-kurs besuchen. unter welchem löwenzahnblatt ist die denn aufgewachsen: "Zuerst grüßt der Mann die Frau? "Nein, da gibt es keine Regeln", sagt Vana-Stroehla und lacht. Auf jeden Fall grüßt, wer zuerst den Raum betritt." vermutlich stellt die dame auch den rektor den studenten vor, weil: der ist nur einer, und die studenten sehen wir einfach einmal als masse. der arme knigge ...

zum dolmetschstudium gehörte eine endlos scheinende vorlesungsreihe von "landes- und kulturkunde", da wurden alle diese themen auch behandelt, tischsitten, begrüssungen etc., ggfls. auch die geschichte(n) dazu. diese form kann ich mir gut als verpflichtend vorstellen: wenn möglich aber schon bevor die armen studenten in ein fremdes land kommen und dann von einigen dingen masslos irritiert sind. dann wäre das vielleicht tatsächlich eine hilfe.

restaurantbesuche als pflichtübung erscheinen mir ein ganz klitzekleinwenig merkwürdig.

berenike am 23.Dez 12  |  Permalink
In einem Kurs zur interkulturellen Kommunikation finde ich einen Restaurantbesuch, neben der Verkehrserziehung, sehr sinnvoll und ich glaube, er gibt vielen Ausländern erstmal Sicherheit. Es ist ja kein normaler Sprachkurs, sondern es geht eben um interkulturelle Kommunikation! Sie können ja dann immer noch im Alltag das essen, was sie mögen oder brauchen, aber Esskultur gehört nunmal eng zur jeweiligen Landeskultur.
Ich war in Italien dankbar für Freunde, die mir viel erklärt haben, denn auch wenn wir alle in Deutschland oft Italienisch Essen gegeangen sind, im Land selbst funktioniert einfach vieles ganz anders (Betreten des Restaurants, was man zusammen bestellt und was auf keinen Fall, Getränkeauswahl, Umgang mit Kellnern, Bezahlung, Trinkgeld...). Viele enttäuschte Italientouristen erzählen von schlechter Behandlung durch Kellner und wenn man dann mal nachfragt, kann ich das oft verstehen.

Und auch in der Mensa oder Imbißbude bin ich froh, wenn man unseren Neubürgen schon Minimalbenimm beigerbacht hat.

cassandra_mmviii am 23.Dez 12  |  Permalink
"Und auch in der Mensa oder Imbißbude bin ich froh, wenn man unseren Neubürgen schon Minimalbenimm beigerbacht hat."

da bin ich froh, wenn man meinen Mitmenschen, egal von wo weg, Minimalbenimm beigebracht hat, aber irgendwie sehe ich da auf deutscher Seite größere Defizite als bei Gaststudis :-)
Mensa-Nummern wie die Schlange ignorieren und direkt nach vorne stratzen passieren immer nur Deutschen.

Also wenn, dann bitte für alle, egal von wo weg, als Teil der O-Phase.

berenike am 23.Dez 12  |  Permalink
Zwei Paar Schuhe: rüpelhaftes Verhalten und Unwissenheit, die beide natürlich miteinander gehen können.

Aber sonst wäre ich auch dafür, Tischmanieren als Teil der O-Phase einzubauen ;)

cassandra_mmviii am 23.Dez 12  |  Permalink
Wie gesagt: anbieten für Freiwillige- gute Idee! Immer nach dem Motto "Ethnologische Erkundungen bei den Eingeborenen". Wer sich unsicher ist, wer nicht weiß wie, wer sich nicht traut, wer neuigierig ist, wird dann dabei sein. Aber wer sich denkt "ich war schon auf Austauschjahr in Deutschland, das sollte ich packen", sollte es auch allein probieren dürfen. Erforschen auf eigene Faust hat auch Lerneffekte.

Uni ist eine ganz eigene Erfahrung... Tischmanieren, pünktlich kommen, seinen Kram erledigt haben, wie schreibt man eine Email, ist es okay mitten im Referat loszuheulen, weil das Thema so an die Nieren geht, Experimente mit Haarschnitt und Klamotten, vegane Phase ... da kann man viel lernen und viel verlernen.

Tigergatte wünscht sich, seine Studis würden lernen, ihre Blase für 2 Stunden zu kontrollieren, im Seminar nicht Facebook zu aktualisieren und einmal alle ihre Hausaufgaben gemacht haben.
Ob Kaffee trinken im Seminar ok ist, weiß er nicht so recht.