Verloren gegangen
Es ist schon lange, lange her, da bin ich mit zwei Nachbarsmädchen "verloren gegangen". Wir waren (mit elterlicher Erlaubnis) in den Feldern um unsere Häuser unterwegs, auch die weitere Umgebung kannten wir. Aber irgendwie hatten wir uns verirrt. Hügelige Landschaft, Wälder... wir sahen unser Dorf nicht mehr.
Also berieten wir, daß wir auf den höchsten Hügel gehen würden und von da aus gucken.
Auf dem Weg auf den höchsten Hügel stießen wir auf eine improvisierte Behausung und sahen einen Mann. Ganz vorsichtig und leise krochen wir in das Gehölz zurück aus dem wir grad gekommen waren. Da konnten wir nicht lang, zu gefährlich.

Wir haben den Weg zurück gefunden. Alleine. Wir haben uns versprochen, unseren Eltern nichts zu erzählen, denn das hätte Ärger gegeben. Also besser nichts sagen. Schimpfen wegen zu spät nach hause gekommen war die bessere Alternative :-)
Ich bin noch nicht zur Schule gegangen, eins der Mädchen ist später mit mir in eine Klasse gegangen, war also auch höchstens 6, die andere ist ein Jahr älter.


Man sollte also erwarten, daß jemand, der sich erinnert, daß man mit 6 Jahren so eine Situation meistern kann, ruhig bleibt, wenn sein fast 6-jähriger Sohn mal 10 Minuten nicht auffindbar ist und eigentlich ist er ein Kind, was seine Probleme lösen kann ohne Helikopter-Elter.
Völlige Fehlanzeige, Tigermama in Panik.


Kleiner Tiger durfte das erste Mal mit seinem Kindergartenkumpel nach dem Kindergarten direkt auf den Spielplatz. Sie waren ja nicht mal alleine auf dem Spielplatz, der keine 500 Meter von zu Hause entfernt ist. Des Kumpels Au-pair war dabei. Dummerweise spricht sie kein Wort Deutsch und Englisch ist auch eher Glückssache. Wie das unter diesen Umständen mit dem Au-pair-sein klappt? Fragen Sie nicht...

Jedenfalls dachte ich nachdem der Große Tiger nach Hause gekommen war, Mittag gegessen hatte und jetzt kurz seine Hausaufgaben erledigte, daß ich mit den beiden Lütten einen Spaziergang zu diesen Spielplatz mache. Tat ich auch und -Schreck laß nach!- die Kinder waren weg. Das Au-pair auch, aber die Kinder fand ich dringender. Auf dem abgesprochenen autofreien Nachhauseweg hatte ich sie nicht getroffen. Auch ein Abklappern der anderen Spielplätze blieb erfolglos.

Ab nach Hause! Nur Großer Tiger war da. Den scheuchte ich auf's Rad, zum Kumpel nach Hause fahren, ich wollte für Notfälle beim Telefon bleiben.

Großer Tiger kam wieder, kein Kleiner Tiger. Panik auf Mutterseite.

Kurz drauf klingelte es. Es war der Kleine Tiger, der Bescheid sagte, daß er mit zum Kumpel wollte. Ich fragte, wo sie denn gewesen seien.
"Auf Toilette".

Des Rätsels Lösung: sie mußten beide und kehrten zum Kindergarten zurück, da gibt es ja Toiletten.




admiral am 25.Apr 13  |  Permalink
Puh!

am 25.Apr 13  |  Permalink
ich musste als welpe 1 km laufen
bis zur strassenbahn dann 5 km fahren und dann 300 m laufen ab die erste klasse inna trollschule

heute wirste mit nem suv abgeholt
die helikopter-parents stehn schon 10 min. vor schulschluss parat
und legen rosinenschnecken für kleine wölfe raus damit die anstrengende reise nach hause nich zu langweilich wird
dazu gibts noch mucke ausm kinderkanal übba die bose-anlage

admiral am 25.Apr 13  |  Permalink
Jaja, früher war doch nicht alles besser.....

am 25.Apr 13  |  Permalink
ja abba auf die andere seite
konnteste imma noch sagen:

ich hab die strassenbahn verpasst
die strassenbahn kam nich
odda ich hab mich den fuss verstaucht
da geht das alles nich so schnell

heute wirste kontrolliert und überwacht

cassandra_mmviii am 25.Apr 13  |  Permalink
Vielleicht war früher nicht alles besser, aber unsere Eltern entspannter. Andererseits: sie hatten weniger Möglichkeiten, uns permanent zu überwachen, die Medien waren nicht voll von Horrorgeschichten über verschwundene Kinder, die Autos waren noch laut&bunt usw.



"Kinder von heute werden in Watte gepackt. Wenn du als Kind in den 80ern gelebt hast, ist es zurrückblickend kaum zu glauben, dass wir so lange überleben konnten!

Als Kinder saßen wir in Autos ohne Sicherheitsgurte und ohne Airbags. Unsere Bettchen waren angemalt mit Farbe voller Blei und Cadmium. Die Fläschchen aus der Apotheke konnten wir mühelos öffnen. Türen und Schränke waren eine ständige Bedrohung für unsere Fingerchen, und auf den Fahrrädern und Mopeds trugen wir nie Helme! Wir bauten Seifenkisten und entdeckten während der ersten Fahrt den Hang hinunter, dass wir die Bremsen vergessen hatten. Damit kamen wir nach einigen Unfällen klar.

Wir verließen morgens das Haus, wir blieben den ganzen Tag weg und mussten erst zu Hause sein, wenn die Straßenlaternen angingen. Niemand wusste, wo wir waren, und wir hatten nicht einmal ein HANDY dabei! Wir haben uns geschnitten, brachen Knochen und Zähne, und niemand wurde deswegen verklagt! Es waren eben Unfälle! Niemand hatte schuld, außer wir selbst. Keiner fragte nach "Aufsichtspflicht". Wir kämpften und schlugen uns manchmal grün und blau, damit mussten wir leben, denn es interessierte die Erwachsenen nicht besonders.

Wir aßen Kekse, Brot mit dick Nutella, tranken viel Cola, Hooch oder "die Blaue Sau" und wurden trozdem nicht zu dick oder krank! In öffentlichen Gebäuden waren wir ständig von Rauchwolken umhüllt! Wir tranken mit unseren Freunden aus einer Flasche, und niemand starb an den Folgen!

Wir hatten nicht:

-Playstation
-Nintendo64
-X-Box
-Videospiele
-64 Fernsehkanäle
-Surround Sound
-eigene Fernseher
-Computer
-Handy
-Laptops
-Internet
-Chatrooms.

WIR HATTEN FREUNDE!

Wir gingen einfach raus und trafen sie auf der Straße. Oder wir marschierten einfach zu deren Haus oder Wohnung und klingelten! Manchmal brauchten wir gar nicht zu klingeln, und gingen einfach hinein! Ohne Termin und ohne Wissen unserer gegenseitigen Eltern. Wir dachten uns Spiele aus mit Holzstöcken und Tennisbällen. Außerdem aßen wir Würmer, und die Prophezeiungen trafen nicht ein; die Würmer lebten nicht in unseren Bäuchen weiter, und mit Stöcken stachen wir auch nicht besonders viele Augen aus! Beim Straßenfußball durfte nur mitspielen, wer gut war. Wer nicht gut war, musste lernen mit, Entäuschungen klar zu kommen!

Manche Schüler waren nicht so schlau wie andere. Sie rasselten durch Prüfungen und wiederholten Klassen. Das führte damals nicht zu emotionalen Elternabenden oder gar zur Änderung von Leistungsbewertungen! Unsere Taten hatten manchmal Konsequenzen. Das war klar, und keiner konnte sich verstecken. Wenn einer von uns gegen das Gesetz verstoßen hat, war klar, dass die Eltern ihn nicht automatisch aus den Schlamassel heraushauen. Im Gegenteil: Sie waren oft der gleichen Meinung wie die Polizei! So etwas!!

Unsere Generation hat eine Fülle von innovativen Problemlösern und Erfindern mit Risikobereitschaft hervorgebracht. Wir hatten Freiheit, Misserfolg, Erfolg und Verantwortung! Mit allem wussten wir umzugehen!"

loco-just-loco am 26.Apr 13  |  Permalink
Also das erste Mal, wo ICH in einem Auto ohne Sicherheitsgurte gefahren bin, war ungefähr 1990, und das war ein Abschleppwagen. Da war ich also ungefähr 17. Was in dem Text so über Sicherheit steht, vernachlässigt auch, daß eben doch viele Kinder schwere Unfälle erlitten haben.

Hat natürlich nichts damit zu tun, daß Totalüberwachung jede Kreativität erstickt und die Sicherheit gar nicht sooo sehr verbessert. Aber Sicherheitsgurte haben die Verkehrstotenzahl ungefähr halbiert.

cassandra_mmviii am 26.Apr 13  |  Permalink
Klar sind Sicherheitsgurte sinnvoll. Und Kindersitze auch. Aber trotzdem: Fahrgemeinschaften, bei denen das Auto randvoll mit Kindern geladen wurde, haben Spaß gemacht.

Eine Menge Dingen machen, einzeln und für sich betrachtet, Sinn. Nur in der Summierung wirken sie manchmal etwas seltsam.

Fanta enthält einen Stoff, der Osteoporose verursachen kann. Aber das passiert nicht von der einen Fanta beim Grillen.


gestern abend war ich beim Kochen und das Telefon klingelte. Dran war die Kindergeburtstagsnichtmehreinladerin. Ihr Sohn spielte bei uns in der Straße und sie konnte ihn nicht abholen weil sie plötzlich Heuschnupfen hatte. Nun war die Frage ob ich nicht ihren Sohn (fast 8) bei ihr abliefern könne. Ich habe das "ey, ich hab' 4 Kinder, da kann ich nicht das Haus verlassen" runtergeschluckt und den Jungen ans Telefon geholt.
Der Weg nach hause ist kurz, führt durch 2 Spielstraßen und etwa 100 Meter Grünfläche, ist komplett ohne Autos usw. Er war ihn aber noch nie alleine gelaufen oder mit dem Rad gefahren. Muttern war etwas knieselig, daß ich ihn nicht ablieferte. Ich bot an, Kleinen Tiger mitzuschicken, der kennt die Strecke :-)
Schlußendlich fand sich dann eine andere Nachbarin. Und ich stand da und fragte mich, wo die guten alten Zeiten geblieben sind, also wir nach den Hausaufgaben weggingen und irgendwann beim Abendläuten wiederkamen und niemand das problematisch fand.

arboretum am 26.Apr 13  |  Permalink
Die Trulla Kindergeburtstagsnichtmehreinladerin hat Nerven.

Hat sie denn inzwischen wenigstens Ihre Sachen zurückgebracht?

cassandra_mmviii am 26.Apr 13  |  Permalink
Nö, hat ja Heuschnupfen. Vllt schicke ich heute ein Tiger-Einsatzkommando vorbei, den Kram abholen.

loco-just-loco am 28.Apr 13  |  Permalink
Hättst dich nicht genieren sollen.

Klar, das Maß machts, und an die Fahrt zu sechst plus Eselfohlen in einem stinknormalen Kombi (einer saß im Kofferraum und beruhigte dasTier, das zum Tierarzt mußte für eine Impfung) werd ich mich auch noch lange erinnern.
Vor gut 25 Jahren war ich zum ersten Mal zum Schüleraustausch in Frankreich; die guten Leute haben mich angeguckt wie einen Außerirdischen, als ich auf dem Rücksitz den Gurt anlegte. Ohne wäre mir bei deren Fahrweise aber echt schlecht gewesen...

Ich war sechs, als ich zum ersten Mal allein zur Schule ging: 2km, davon ein Stück an einer Außerorts-Straße lang... durch den Wald war kürzer, aber das durften wir nicht, da hatten sie öfter mal Polizeieinsätze.

cassandra_mmviii am 28.Apr 13  |  Permalink
"Ich war sechs, als ich zum ersten Mal allein zur Schule ging: 2km, davon ein Stück an einer Außerorts-Straße lang... durch den Wald war kürzer, aber das durften wir nicht, da hatten sie öfter mal Polizeieinsätze."

Ich wohnte auf dem Dorf, die Schule war in der nächsten Kleinststadt. Zuerst brachte meine Oma mich zum Schulbus (die willkommene Gelegenheit, mit den anderen Omas zu ratschen), aber danach ging ich allein, immer die Oma mitschleppen war auch voll peinlich.
Im Kindergarten (der war im Dorf) galt die Regel, daß wir im letzten jahr alleine kommen und gehen sollten, um für den Schulweg zu üben.

Das war alles im Dorf, also keine einsamen Waldstraßen. Außerdem waren die Karren damals lauter.

Einer der Gründe, hierher zu ziehen, ist das es so dörflich ist wie man es in einer Großstadt nur bekommen kann. Es riecht sogar manchmal nach Gülle. Alle Nachbarn beschweren sich, ich werde sentimental.
Eine Kindheit mit der Illusion von Freiheit, mal einen Nachmittag mit den Rad in der Feldmark zu verschwinden... das ist auch was wert.

Einer der Gründe, weshalb ich so vehement gegen Zwangsganztagsbeschulung (ich will Ganztagsschulen auf keine Fall verieten, einigen/viele Kinder gefällt es, da viele tolle Sachen machen zu können; ich will nur keine Zwangsbeglückung) bin ist, daß Kinder auch außerhalb der Schule jede Menge lernen. Vielleicht keine Fremdsprache, aber es gibt DInge, die lernt man nicht im Klassenzimmer.

maracaya am 25.Apr 13  |  Permalink
Ja, es ist eine Sache, den Blagen so grundsaetzlich ihre Freiheit zu lassen zu gedenken - und eine andere, sie dann nicht aufzufinden.
Mir rutscht auch regelmaessig das Herz in die Hose, wenn ich den Kurzen im grosselterlichen Garten nicht finden kann.

cassandra_mmviii am 25.Apr 13  |  Permalink
Wir hatten über den Nachhauseweg geredet, dadrüber, daß er direkt nach Hause kommen muß vom Spielplatz usw.

Grundsätzlich hat er ja gezeigt, daß er die Absprache eingehalten hat. Und selbst das Problem "Pipi" wurde selbständig gelöst.

Und trotzdem: ach du Schreck!