Oh, du schöne neue Welt
Ich erfuhr heute endlich, was eigentlich gegen die Geburtstsgs-Muffins spricht: die Fairness.

Ein paar Kinder essen nicht, was nicht aus Tüten komtm weil sie selbstgemachtes nicht kennen. Also müssen, damit diese Kinder sich nicht ausgeschlossen fühlen, die Geburtstagskinder bitte was abgepacktes, gekauftes mitbringen.

Aha. Man könnte auch sagen: wir freuen uns, daß eben diese Kinder jetzt die Gelegenheit bekommen, ihren Horizont zu erweitern.

Ich habe nämlich entgegen der Anweisung der Erzieherin KEINE Gummibärchentüten mitgegeben, sondern selbstgemachte Mini-Muffins. Wegen der wohlmeinenden Gesundheitsdiktatur selbsterständlich in Vollkorn, öko-bio und zuckerreduziert. Ich überlegte noch, ob ich einen Gummibären obendrauf dekorieren sollte als Zeichen meiner übergroßen Kompromißbereitschaft, aber habe das dann lieber gelassen.

Da sie keine Zeit im Morgenkreis hatten (???), verteilte Mini-Tiger sie erst vor dem Mittagessen als ich ihn abholte und ich bekam die Reaktion einiger Kinder mit. Seitdem weiß ich: es ist nicht die Diabetes oder eine Allergie. Es ist die Tendenz, die Kids aus der Tüte zu ernähren. Erzieherin sagte auch noch was von "sicherer, weil ja immer draufsteht, was drin ist und das ist dann ja kontrolliert".
Wenn man sagt "geht wegen Hygienebedenken nicht" verstehe ich das ja, aber dann muß man das einfach mal ehrlich sagen statt rumzukaspern.


In unserem alten Kindergarten habe ich einmal einen nach Kinderanweisungen gebackenen Schokokuchen mitgegeben am Geburtstag. Er bestand aus kuchengewordener Schokolade, Schokoglasur, Schokostreuseln, Gummibären und M&Ms obendrauf. Alle Kinder verschmiert und die Erzieherin fragte, ob sie die Reste an ihre Kolleginnen verfüttern darf und ich ihr das Rezept gebe.

Ich wünsche mir diesen völlig entspannten Kindergarten mit Zeit zurück. Zeit, die Kinder toben zu lassen statt den Tag durchzutakten. Zeit für die Kinder, etwas eigenes zu entwickeln, auszuprobieren und auch mal einen Tag lang nur rumzusitzen.
Großer Tiger kannte fast alle Buchstaben als er eingeschult wurde. Nicht weil es im alten KiGa ein von Erwachsenen entwickeltes und angeleitetes Vorschulübungskonzept gegeben hatte, sondern weil er (wie fast alle Kinder) irgendwann sich von den Älteren abgeschaut hatte, wie das geht und sie ein paar Vormittage lang Vornamen schreiben spielten.

Es war entspannt, niemand mußte auf die Minute pünktlich sein (wir sollen das Kind bitte nicht vor 8 Uhr abgeben weil er kein Frühdienstkind ist, aber um Punkt 8 Uhr fängt die Vorschulgruppe an, manchmal klappt die Punktlandung nicht, dann darf er nicht mehr mitmachen) und irgendwie herrschte bessere Laune.

Ich hab' Heimweh.




maracaya am 22.Jan 13  |  Permalink
Der Kindergarten ist sehr, sehr seltsam.

cassandra_mmviii am 22.Jan 13  |  Permalink
Wie kann man denn bitte so beschäftigt sein, daß man im Morgenkreis keine Zeit hat, einen Geburtstag nachzufeiern?

Andererseits: wenn man um Punkt 12:35 mit dem Essen fertig sein muß, weil sonst was schreckliches passiert, sollte einen nichts mehr wundern.

loco-just-loco am 23.Jan 13  |  Permalink
Die Leute, die das System kreiert haben, müssen sehr, sehr unglücklich sein.

cassandra_mmviii am 23.Jan 13  |  Permalink
Ich tippe auf sehr, sehr unsicher.

Im Bremen herrscht Angst vor Kevin II, Angst vor dem desolaten zustand des Bremer Bildungssystems, Angst davor, noch stärker als Stadt mit erhöhtem Armutsrisiko zu gelten und deshalb muß man präventiv tätig werden.

Ich würde zu mehr Entspannung raten, zu mehr Eingehen auf Kinder statt rumreiten auf Programmen und Regeln, zu mehr Humor und Zuversicht statt immer nur die Probleme zu sehen.
Okay, der KiGa hat ein sehr... äh... gemischtes Publikum. Ein paar Kinder werden wohl echte Probleme haben, pünktlich in der Schule aufzutauchen, weil ihre Familienstruktur nicht den mittelstands-bildungsbürgerlichen Idealvorstellungen Vorstellungen entspricht. Deswegen müssen wir nun alle zu Pünktlichkeit erzogen werden.
Ein paar Eltern lästern noch stärker über die Ernährungsvorstellungen als ich- sie würden freiwillig nie eine rohe Möhre essen, warum sie also den Kindern beim Kindergarten-Frühstück vorsetzen? Das sind dann die Kinder, die nichts selbstgebackenes essen weil es "komisch" ist.

In Bremen mißtraut man allem, was nicht überwachbar ist. Es könnte ja schiefgehen. Es wird wahrscheinlich schiefgehen (obwohl ich hoffe&bete, daß es NIE wieder so epochal schief geht wie bei Kevin), aber das Risiko, daß ein Kind vielleicht nicht Rohkost zu seiner Lieblingsspeise macht, sondern Wackelpudding, müssen wir tragen wenn man mich fragt.

Was mich in den zeitweiligen Wahnsinn treibt ist die Widersprüchlichkeit:
einerseits ist Zucker das personifizierte Böse, andererseits muß man sparen (in Bremen immer, im Bildungssystem sowieso und wenn man das addiert, kommen da seltsame Dinge raus) und dann teilt man an die Kids zum Nachtisch halt Gummibärchentütchen aus.
Die Mengen Natriumglutamat, die da im Kindergartenessen sind, konnte man direkt riechen. Ist auch eine Kostenfrage, aber gesunde Ernährung ist das nicht.

stimmviech am 24.Jan 13  |  Permalink
Gibt es in Bremen keine Privatkindergärten für mittelschichtiges Publikum? Hier sieht man ja , was für Niveaulosigkeiten bei linker Landesregierung herauskommen. Andersrum: nur Niveaulose, prototypisch für die dystopische Zukunft Europas, wählen so.

cassandra_mmviii am 24.Jan 13  |  Permalink
klar gibt es die zB kirchlichen Kindergärten. Aber die habe etwa die gleichen Anmeldezahlen wie die kirchlichen Schulen.

Es gibt auch Elterninitiativkindergärten. Aber erstens nicht in vertretbarer Erreichbarkeit und und zweitens auch mit Warteliste.

Da wäre man dann konzeptmäßig etwas sicherer, aber auch da treibt es allerlei seltsame Blüten: "wir erziehen gender-neutral" und so weiter.

Außerdem bezweifle ich, daß jeder, der das Geld hat, so was zu bezahlen, automatisch das ist, was meine Oma "guten Umgang" genannt hätte. Genausowenig heißt nicht das Geld für den Spaß haben, daß man automatisch "schlechter Umgang" ist.
Wir haben, wie bereits mehrfach erwähnt, bis vor 3 Jahren in einem kleineren sozialen Brennpunkt gewohnt und während eine Reihe an Leuten wirklich ALLE Vorurteile erfüllte, gab es da auch eine Reihe an Leuten, die völlig okay waren. Die vielen weniger auf weil sie zB weniger Müll in der Gegend verteilten, ihre Schulbücher nicht auf dem Gartengrill verbrannten, sonnatgsmorgens nicht auf dem Spielplatz ihren Rausch ausschliefen, sondern einfach unauffällig ihrer Maloche nach nach Hause kamen und keinen Krawall machten. Die fallen weniger auf.


Wir sind zu spät hergezogen. Man sollte das Kind gleich nach Geburt anmelden auf der Schule der Wahl. Mittlerweile stehen natürlich alle auf Schulwartelisten (die wollen seltsamerweise eine Geburtsurkunde bei Anmeldung sehen....)

Bremen versucht massiv, die soziale Durchmischung von Schulen zu erreichen. Da werden dann notfalls Schuleinzugsgrenzen neu gezogen.
Das kann mit einer der Schulen spaßig werden- da proben grad die Neubaugebieteltern mit SUV den Aufstand weil ihre Kinder in einen anderen Schulbezirk gehen sollen.

Im Kindergarten kann man als Eltern immer noch "nö" sagen, aber das Bremer Kindergartenplatzverteilungssystem ist undurchsichtig. Man meldet beim KiGa seiner Wahl an. Wenn der keine Plätze mehr frei hat, gibt der weiter. Und dann kann man sonstewo landen.

Wohnortnahe Betreuung ist in Bremen so definiert, daß alles innerhalb von 30 Autominuten (inkl. Autobahn) als wohnortnah zählt. Mit Auto und Autobahn ist man innerhalb von 30 Minuten überall in Bremen, wenn nicht gar wieder draußen.
Unsere Nachbarn haben sich ein Auto gekauft, um Töchterchen morgens in den KiGa bringen zu können. In einen KiGa, den wir damals kreischend nicht wollten. Über die Schule daneben, mit der der KiGa selbstverständlich eng zusammenarbeitete, wurde ja schon andernorts geredet.
Kumpel vom Tigergatten hatte seine Tochter da ein halbes Jahr und danach beim Kinderpsychologen. War nicht lange nötig, Töchterchens Probleme gaben sich ziemlich schnell als Mama ihren Job aufgab und sie nicht mehr in die(se) KiTa mußte.