Freitag, 18. Januar 2013
Sozialtraining
Die kleine Hexe ward vom Großen Tiger im Wald stehengelassen. Er wußte nämlich, was Hexen so alles anstellen (Kinder in Backöfen stecken zum Beispiel) und je tiefer sie im Wald verschwunden ist, desto besser.
Ich fand das hochgradig einleuchtend. Würde ich jemandem helfen, der mich als nächstes braten will? Ich glaub', es piept.

Das war das erste dieser Trainings, durchgeführt unmittelbar nach der Einschulung, da ging es wohl um Gruppenzusammenhalt, Empathie und so weiter. Wie sollen denn Kinder, die erst mal den Namen des anderen kennenlernen müssen, Gruppenzusammenhalt haben? Und ist es wirklich ein Zeichen mangelnder Empathie, nicht wie Hänsel enden zu wollen?

Nu' schlagen wir uns mit Faustlos im Kindergarten rum.
Mein Eindruck von der ganzen Sache: Kinder sollen vor allem Aggressionen auf keinen Fall zeigen. Klar wäre es schöner wenn Lasse-Ole statt Moritz-Amadeus die Schaufel wegzunehmen sagen würde "Moritz-Amadeus, wollen wir die Schaufel nicht teilen? Wir können zusammen damit spielen!" und Moritz-Amadeus daraufhin zustimmen und beide in einen kommunikativen Prozeß eintreten würden, in dessen Verlauf man sich einigt, was man denn spielen will. Aber erwarten wir das wirklich von Kindergartenkindern?

Ich frage mich, warum man Kindern, die ein altersangemessenes Sozialverhalten zeigen, unbedingt auf Breitenbasis durch diese Programme jagen muß.
Seit sie diesem Faustlos-Kappes im Kindergarten machen, reagiert Kleiner Tiger wenn es zu Streit kommt nicht mehr so, wie es ihm in den Sinn kommt, sondern frißt es in sich hinein, um dann später zu explodieren. Auf die Dauer läßt sich der Frust über den Verlust des Autos, der Schaufel etc nämlich nicht ignorieren. Ich kann das verstehen, wenn mir jemand was wegnimmt, reagiere ich auch nicht grad mit Fröhlichkeit.

Ein gewisses Maß an Aggression gehört zum Menschen wahrscheinlich dazu. Nun muß man mit der Begründung nicht gleich seinem Nachbarn mit dem Klappspaten an die Kehle gehen, aber in meinen Augen ist es schon ok wenn man sich wehrt. Wenn das mit dem Reden ("Du-hu, Neonazi, ich weiß, daß du ein völlig mißverstandener Junge bist, der total gefrustet ist und deswegen nicht weiß was er tun soll und vor lauter Hilflosigkeit ein Asylbewerberheim anzünden muß. Willst du das nicht lieber lassen?") nicht klappt, dann irgendwann auch mit mehr als nur Worten.
Im Idealfall kommen die Profis von Team Grün-Weiß und nehmen den Übeltäter mit. Hoffentlich endet das vor Gericht und dann im Knast und nicht bei einer Tasse Schnittlauchtee und problemorientierter Gesprächskerze. Im nicht ganz so idealen Fall steht man aber allein da und als ich das letzte Mal was davon gehört habe, war man in Deutschland noch zur Nothilfe verpflichtet.

Mini-Tiger rüpelt immer noch rum. Aber irgendwie vertraue ich drauf, daß sich das ganze auch ohne größere therapeutische Maßnahmen gibt. Spätestens wenn mal einer zurückrüpelt. Aber das tut ja keiner mehr...

Ich hatte nie eins dieser Programme in Kindergarten oder Schule. Gab es deswegen mehr Prügeleien? Vielleicht, aber sie endeten meist, wenn der andere am Boden lag, aufgab oder wegrannte. Mit anderen Worten: alles im Grünen Bereich.

Kleiner Tiger war (vor diesem Faustlos-Mumpitz) jederzeit bereit, seinen kleinen Bruder, das Nachbarmädchen, notfalls sogar seinen großen Bruder und auch sich gegen alles was da kam zu verteidigen. Er hat fast nie angefangen, aber wer Ärger wollte, konnte ihn haben. Selbstbewußtsein, Konfliktbereitschaft, Mut, Bereitschaft, für seine Freunde einzustehen- wir hatten einen Ritter oder Indianer, der Stoff, aus dem Helden sind.
Dummerweise kollidierte das schon letztes Jahr mit den Erziehungszielen des Kindergartens, die man wohl am besten als "absolut friedfertig" bezeichnen muß. Nicht zurückschubsen, auch wenn man geschubst wird.
Haben sie deswegen weniger körperliche Streitigkeiten? Vielleicht, aber die Frage ist, ob Kinder im Kindergartenalter nicht ein Recht dadrauf haben, auch körperlich zu sein statt nur noch mit Worten zu reagieren.

Die Kinder bewegen sich weniger als vor 30 Jahren heißt es. Naja, Playstation hatten wir im Garten, hieß Schaukel :-) wir mußten noch Radfahren wenn wir zu unseren Freunden wollten und sind nachmittagelang rumgetobt. Wir waren körperlicher. Das ist vielleicht der Schlüssel: erlaubt den Kindern, ihren Körper zu spüren, ihn auzuprobieren und zu entdecken, wie weh es eigentlich tut, wenn man eins auf die Nase bekommt. Das fördert die Empathie wahrscheinlich mehr als Schaubilder.
Vielleicht gibt das die eine oder andere Schramme, aber die meisten von uns 30plus-Leuten scheinen nicht dauerhaft verkrüppelt zu sein.

Das beste Sozialtraining findet nicht im Stuhlkreis statt, angeleitet von einer Fachkraft, die erzählt, was man tun darf und was nicht, sondern im Umgang mit anderen Kindern.