Förderkind II
Heute bekam ich das nächste Förderkind -nämlich den Mini-Tiger- präsentiert. Elterngespräch im Kindergarten, es wurden Sprache, Selbstbewußtsein und Sozialkompetenz bemängelt. Und stillsitzen kann er auch nicht, da muß man abklären, ob ADHD vorliegt.

Wie kamen sie drauf?
Sprache kann man ja immer bemängeln. Er spricht wie ein 3jähriger Junge. Einfacher Satzbau, Grammatik ist gelegentlich noch Glückssache, bekommt aber chronologische Erzählungen von mehreren Sätzen hin, kann Zusammenhänge darstellen und wir hatten auch schon Relativsätze.

Sein Selbstbewußtsein leidet unter der mangelhaften Sprache und weil er sich nicht ausdrücken kann, wird er aggressiv. Aha.

Mangelnde Sozialkompetenz:
Ich habe ihn bisher für durchsetzungsfähig gehalten. Aber er will nicht vom Dreirad wenn ein anderes Kind es haben will. Ich sehe ja ein, daß Teilen und Abwechseln im Kindergarten wichtig sind, aber ich sehe auch ein, daß man nicht jubeln muß wenn man vom Dreirad runter soll. Letzetns sollte er ein Bild malen, wie sich der andere denn fühlt, wenn er geschubst wird und das klappte ja so gar nicht.

Und die Hyperaktivität- Stuhlkreis ist langweilig, rumtoben ist spannender. Das müsse besser werden, es sei doch sehr anstrengend für sie und wenn er in die Schule kommt.... besser mal abklären, ob da nicht ADHD vorliegt.
Nö.

Jedenfalls hatten sie mir netterweise schon mal die Adresse der Beratungsstelle rausgeschrieben, da könne ich ja mal wegen Frühförderung anrufen.
Ich erklärte dann, daß wir wegen Kleinen Tigers Sprachentwicklung eh halbwegs regelmäßig beim Kindersprachdoktor seien, da würden wir den Mini-Tiger einfach mal mit anmelden.


Das hatten wir ja alles schon mal mit dem Kleinen Tiger. mein Tipp: sie haben im nächsten Jahr wieder Förderplätze frei, die wollen belegt werden.

Das ist Pathologisierung von altersgemäßem Verhalten eines Jungen.




admiral am 19.Jun 13  |  Permalink
Bei meinem Großen war auch immer alles ganz schlimm und so würde er in der Schule nie zurechtkommen. Interessanterweise klappt es in der Schule doch ganz gut, auch wenn er einer der aktivsten ist....

cassandra_mmviii am 19.Jun 13  |  Permalink
ich habe den Eindruck, das Normkind sei entweder:
Einzelkind pädagogisch ambitionierter Mittelklasseeltern, das wohlgeplant ist und optimiert wird

oder

das Prekariatskind, welches die Zeit, die es nicht im KiGa ist, vor elektronischen Bespaßern hockt.


Die erste Gattung hat niemals das Problem, daß es sich im harten Kampf um die Legos gegen 2 ältere, größere, kräftigere und verbalere Brüder durchsetzen muß. Selbst wenn es mehrere Kinder geben sollte, ist selbstverständlich so geplant worden, daß es ausreichend Lego-Legolasse für alle gibt.

Das andere Kind hat seinen Bewegungsdrang abtrainiert bekommen.

Und vor allem: es sind keine Junx.

kelef am 19.Jun 13  |  Permalink
die wollen nicht das kind fördern, das ist die retourkutsche an sie weil sie so aufmüpfig sind und immer alles besser wissen ...

die alte methode: wenn die anderen schuld sind braucht man am eigenen verhalten nix ändern, nicht einmal darüber nachdenken. siehe: das sei so anstrengend für die tante wenn ein kind nicht ruhigsitzen und alles freiwillig teilen will, und mit 3,5 jahren kein ausdrucksstarkes bild des gefühlslebens anderer zeichnen oder malen kann. die meisten erwachsenen können das auch nicht, falls wer fragt. und die schönheit liegt sowieso im auge des betrachters.

und was sind überhaupt normkinder? die kriegen ja noch nicht einmal alle am tag X ihre 1., 2. und 3. zähne, und die grösse der füsse variiert wie deibel. mit wurden immer riesenlatschen prophezeit, weil ich schon mit acht jahren 36, mit zehn jahren 38 trug. heute bin ich sechzig und hab grösse 39. aber solange meine mutter mitreden konnte hab ich immer zu grosse schuhe tragen müssen, zum hineinwachsen. und die einlagen, die ich damals nicht brauchte, die brauch' ich heute, weil zu grosse schuhe genauso schlecht sind wie zu kleine. meiner tochter wurden sehr kleine füsse prophezeit, weil sie mit einem jahr gerade einmal grösse 18 trug, mit zwei jahren dann immerhin 19. mit acht hatte sie dann 30, mit 10 schon 32. heute trägt sie 40 - 41. und wir sind definitiv ziemlich eng verwandt.

cassandra_mmviii am 19.Jun 13  |  Permalink
es gibt keine Normkinder weil es keine Normmenschen gibt.
Solange alles, was nicht in die Schublade paßt, notfalls mit Gewalt reingestopft wird, wird das imemr wieder Kopfweh geben weil sich jemand den Schädel an der Schrankdecke anrumpst.

Natürlich wäre es recht erholsam, wenn Kinder mit 3 Jahren bereits perfekt sozialisierte Erwachsene wären. Dann müßten sie aber nicht mehr in den Kindergarten.

Das passe doch nicht, ein so hilfsbereites und fröhliches Kind und dann so aggro wenn er sein Dreirad verteidigt und so hibbelig wenn er mal stillsitzen soll, sie müssen ja auch inhaltlich arbeiten mit den Kindern. Ich sehe ja ein, daß 5-jährige die Projekte ganz toll finden, aber wenn sich das Interesse eines 3-jährigen am Vogelforscherprjekt drauf beschränkt, über die Wiese zu rasen und Vögel zu suchen statt still zu beobachten... das vermiest den Älteren das Projekt, stimmt schon, aber vielleicht wäre es eine gute Idee, die 3-jährigen in einer Gruppe Vögel jagen zu lassen und die Älteren Kinder in einer anderen Gruppe beobachten und zeichnen zu lassen.

Und wieso ich zu Hause dran arbeiten soll, daß er mehr sitzt- heißt es nicht immer, die Kinder bewegten sich zu wenig?

kelef am 19.Jun 13  |  Permalink
na ja, es wäre auch ein weg die kinder erst ordentlich herumtoben zu lassen, dann kommt das stillsitzen meist ganz von alleine.

und vogelbeobachten ist sicher kein projekt für 3jährige, ausser im zoo.

auch wieso man, wenn man einmal auf dem dreirad sitzt, dieses dann auf verlangen einem anderen kind überlassen soll: wenn dann alle fahren wollen, kann/darf keiner, oder wie geht das? und was wäre da mit einer küchenuhr, die bimmelt nach 15 minunten, und dann kommt der nächste dran?

und das trennen nach altersgruppen bei manchen aktivitäten ist tatsächlich schon vor jahrzehnten erfunden worden, ich kann mich genau erinnern. auch anno dunnemals vor ~55 jahren war das schon so.

irgendwie scheinen mir die kindergartentanten sehr aus der norm zu fallen. vielleicht machen sie für die damen gleich auch einen termin, bei einem verhaltensforscher oder so?

cassandra_mmviii am 19.Jun 13  |  Permalink
Im unserem alten Kindergarten waren die Kinder sehr viel draußen. Morgens beim Abliefern konnte man bei gutem Wetter dem Kind gleich die Schuhe anlassen wenn es wollte. Zum Morgenkreis holten die Erzieherinnen sie rein. Bei richtig heißem Wetter wurde auch drauf gepfiffen und es gab wilde Wasserschlachten. Man konnte das Kind verdreckt und müde abholen.

Hier sind sie immer bis um 10:30 drinnen, oft auch länger wegen der pädagogischen Arbeit. Das ist alles ziemlich durchgetaktet. Wenn ich die Kinder nur eine Stunde rausschicke, dann sind sie einfach nicht aureichend gelüftet.

Den Kampf um die Spielgeräte wird man wohl immer haben. In der Schule sind es die Schaukeln. Da gibt es die Regel, daß man seinen Anspruch anmelden muß, dann laut bis 30 zählen und dann muß abgewechselt werden. das finde ich vernünftig, aber jenseits dessen, was im Kindergarten möglich ist.
Dieses Gewaltlosigkeits-Programm will eigentlich vermitteln, daß man solchen Konflikten aus dem Weg gehen soll. Das tut der Tiger nicht und das finde ich auch gut. In den bösen alten Zeiten hätte irgendein größeres Kind ihm wohl mal handgreiflich die Grenzen aufgezeigt, aber das tun wir heute ja nicht mehr. Also traut er sich auch an größere Kinder ran. ich finde das relativ einleuchtend, er hat begriffen, daß außer einer Beschwerde bei der Erzieherin nichts passiert. Das sich an die Erzieherin wenden ist Teil des Programms, sollen sich also nicht beschweren.

berenike am 20.Jun 13  |  Permalink
Bitten Sie doch das nächstemal die Erzieherin, sie solle Ihnen erst mal ein Bild Ihrer Gefühlslage malen.

cassandra_mmviii am 20.Jun 13  |  Permalink
ich bitte sie einfach um eine 12-seitige Darstellung mit einseitigem englischen Abstract...