Rente mit 63, 65, 67, 70, xy
Arbeiten bis 70 - was für viele Menschen nach einer Horrorvorstellung klingt, kann für andere durchaus erfüllend und für die Unternehmen sehr hilfreich sein


Ich will wirklich niemanden an seinem 67. Geburtstag mit Gewalt von der Werkbank wegschleppen und im Fernsehsessel festketten.
Aber: wer will das? Die 186.000 Antragsteller auf Rente mit 63 werden da wohl rausfallen.

"Die neuen Zahlen lassen darauf schließen, dass die abschlagsfreie Rente mit 63 noch häufiger in Anspruch genommen wird als erwartet"

Ups, wer hätte gedacht, dass Menschen freiwillig nicht zur Arbeit erscheinen könnten?


"Die abschlagsfreie Rente mit 63 werfe die Wirtschaft beim nötigen Ausbau der Beschäftigung Älterer "spürbar zurück", sagte er."

Nötig für wen? Den Arbeitnehmer? Wie wäre es denn mit: zahlt vernünftig, bietet Arbeitsbedingungen und -Modelle an, die es Fachkräften leicht machen, bei euch arbeiten zu wollen, bildet aus statt Oppa bis zum Sarg festzuhalten.
Dann klappt das mit den Faschkräften auch ohne dass ihr im Zweifelsfall einen Nekromanten anstellen müßt damit zu Schichtbeginn alle Plätze besetzt sind.




arboretum am 03.Jan 15  |  Permalink
bildet aus statt Oppa bis zum Sarg festzuhalten.

Nun ja, so leicht ist das eben nicht. Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen, die der Bundesagentur für Arbeit gemeldet werden, steigt von Jahr zu Jahr. Ein paar Zahlen gefällig? (Quelle)

2009: 17.300
2010: 19.600
2011: 29.700
2012: 33.300
2013: 33.500

Und das sind, wie gesagt, nur die unbesetzt gebliebenen Ausbildungsplätze, die der Bundesagentur für Arbeit gemeldet wurden. Was aber längst nicht alle Unternehmen machen. Laut einer Unternehmensbefraung der DIHK blieben 2013 bei den Ausbildungsberufen, für die die Industrie- und Handelskammern zuständig sind, 80.000 Ausbildungsplätze unbesetzt (Quelle). Ähnlich sehen auch die Ergebnissen des BIBB-Qualifizierungspanels aus, demnach konnten 40 Prozent der Betriebe ihre angebotenen Ausbildungsstellen nicht besetzen (2011: 35 Prozent, 2012: 37 Prozent) (Quelle).

Auch das Handwerk verzeichnete im November 2014 noch 20.000 freie Ausbildungsstellen (Quelle).

Es liegt nicht nur am demografischen Wandel, also der sinkenden Zahl der Schulabgänger, sondern es spielen noch andere Faktoren eine Rolle. Es gibt mehr Abiturienten, von denen auch ein höherer Prozentsatz studieren will. Die regionalen Unterschiede sind sehr groß, es gibt Gegenden, wo die Jugendlichen keine Ausbildungsstellen finden und andere, in denen die Betriebe händeringend Nachwuchs suchen und sich allerlei ausdenken, um welchen zu gewinnen. Und nicht zuletzt passen Betriebe und Schulabgänger zum Teil auch weniger zusammen als früher: Berufsbilder haben sich gewandelt, die Anforderungen sind heute viel höher (Kfz-Mechatroniker, zum Beispiel), zugleich fehlt einem Teil der Jugendlichen auch die nötige Ausbildungsreife - und nicht immer lässt sich das noch mit Nachhilfeunterricht im Betrieb auffangen.

Man darf gespannt sein, ob und wann die Bundesregierung der Forderung der Wirtschaft nachkommt, Rechtssicherheit bei der Ausbildung von jungen Flüchtlingen zu schaffen.

cassandra_mmviii am 03.Jan 15  |  Permalink
"Und nicht zuletzt passen Betriebe und Schulabgänger zum Teil auch weniger zusammen als früher"

ich habe da ja selber grad interessante Erfahrungen gemacht :-)

Die Anforderungen von Betrieben sind teilweise auch seltsam: am besten schon Praktika seit der 9. Klasse und erst mal "Schnupperpraktikum" 2 Monate vor der Probezeit.

Ja, es bleiben lehrstellen unbesetzt. Auf der anderen Seite stehen dann aber auch viele Interessenten, bei denen irgendwas nicht passt- und wenn es "der sucht seit 2 Jahren, mit dem stimmt was nicht" ist.
Einer dieser unbesetzten Plätze dieses Jahr ist Ausbildungsplatz Br2, den Cheffe gern "anbieten" würde- was nicht geht wegen Betriebsgröße, aber so weit kommen wir nicht weil er keinen findet, der genehm ist, ua wegen solcher Gründe.

EDIT:
das eine Reihe Schulabgänger nicht die nötige Reife haben: ja, stimmt auch. Aber immer alles nur "der Jugend von heute" anzulasten ist auch verfehlt. Tun Sie nicht, weiß ich :-)
Was erwarten Betriebe? Zu oft, dass der Azubi nit einfach nur eine solide Allgemeinbildung hat, auf der man fachspezifisch aufbauen kann, sondern das Schule genau auf ihren Betrieb abgestimmt sein soll.

Das Schulbildung Mängel aufweist... Lesen, Schreiben, Rechnen als Grundbildung sollte sitzen. Tut es zu oft nicht, weiß ich... dagegen hilft nur, sich im Unterricht dadruaf zu kopnzentrieren, aber die Lehrpläne werden immer weiter aufgepumpt mit allem möglichen wie Computer-Unterricht ab der 1. Klasse; "der Computer ist nun mal die Zukunft" sagte die Schulleiterin. Es klang sorgfältig erwägt und formuliert.
Ich hatte eher den Verdacht, dass dieSchulleitung stolz drauf war, endlich zu wissen, was ein Browser ist und das mußte nun vermittelt werden, ebenso wie man mit der Maus Pop-ups wegklickt (ja, haben die Kinder tatsächlich gelernt). Ich hielt das für etwas, was nicht 2 Wochenstunden "fressen" muß, sondern die Kinder recht fix lernen wenn es "nebenbei"´aufkommt.


"Rechtssicherheit bei der Ausbildung von jungen Flüchtlingen zu schaffen."
In Bremen kann ein Betrieb einen jungen Flüchtling als Azubi einstellen, dazu gibt es ein HK-Projekt. Übernahme danach geht auch, selbst iohne Bleiberecht- das kommt dann. Wenn ich das richtig verstanden habe usw.
Flüchtlinge können auch als EQ-ler eingestellt werden.

arboretum am 03.Jan 15  |  Permalink
Meines Erachens müsste Ihrem Chef eigentlich die Ausbildungsberechtigung entzogen werden, da er offensichtlich nicht dazu geeignet ist.

In anderen Bundesländern gibt es zum Teil große Probleme für die jugendlichen Flüchtlinge, für die keine Schulpflicht mehr besteht, weil sie bereits 16 Jahre alt sind. Die haben zwar das Recht, eine Berufsschule zu besuchen, aber es gibt oft nicht genügend Plätze. Wer keinen abkriegt, guckt in die Röhre und wartet und wartet ... und bekommt auch kaum eine Lehrstelle.

cassandra_mmviii am 03.Jan 15  |  Permalink
"Meines Erachens müsste Ihrem Chef eigentlich die Ausbildungsberechtigung entzogen werden, da er offensichtlich nicht dazu geeignet ist."

Ich denke auch etwa so. Für's erste schreibe ich grad wegen der sexuellen Belästigung die Frauenbeauftragte an, die möge mal bei der HK nachhaken.

Ein Freund von uns hat eine Ausbildung im Handwerk abgebrochen weil der Meister eine Zange nach ihm warf (und traf). Da holte er dann lieber das Abi nach und studierte.

Ich kann mir nicht vorstellen,dass nur ich & er solche Erfahrungen gemacht haben: für einen Teil der unbesetzten Plätze könnte es eine Erklärung geben, die weder Mangel an ausbildungsfähigen Azubis noch demografischer Wandel ist, sondern: ist wohl auch besser so.

pathologe am 04.Jan 15  |  Permalink
Ich
stimme Frau Arboretum zu. Inzwischen ist es wohl so, dass sich die Schule lieber am Schwächsten orientiert und entsprechende Ausbildungsinhalte daher nicht erreicht. Nur damit alle das Klassenziel erreichen. Dadurch wird der Bildungsstand unnötigerweise heruntergesetzt. (Und da rede ich von Deutschland, in anderen Ländern sieht es teilweise schlimmer aus). Auszubildende für den Einzelhandel, die nicht einmal das Kopfrechnen beherrschen, zeichnen ein recht trauriges Bild. Dagegen eben auch die vielen Abiturienten, die gleich studieren wollen. Neben der Schere zwischen arm und reich öffnet sich nun wohl ebenso eine zwischen Abitur und Ausbildung.

Was die Rente mit 67 betrifft, habe ich meine eigene Meinung. Einerseits finde ich es nicht gut, so lange arbeiten zu müssen, schließlich wird einem diese Zeit ja davon abgezogen, sich auf seinen erarbeiteten Früchten ausruhen zu können. (Perfide übrigens auch die Riesterrente, die sich erst rentiert, wenn man mindestens 92 Jahre alt wird).
Andererseits haben wir aber auch das Problem, dass man aus Kostengründen gerne auf junge, weil billige, Arbeitnehmer setzt. Und sich als Manager damit Probleme erkauft, da man ja die "alten, teuren" Mitarbeiter freisetzt, die Erfahrung haben und gewisse Fehler einfach nicht machen, die ein junger, frischer Uniabgänger erneut machen wird, da ihm der (manchmal?, meist?) weltfremde Theoretiker auf der Uni gelehrt hat. Eine gesunde Balance fehlt hier irgendwie.

cassandra_mmviii am 04.Jan 15  |  Permalink
das in der Schule manches/vieles anders und besser laufen könnte, sollte und auch müßte: keine Frage. Ich bin ja selbst häufig genug genervt vom freien Fall der Anforderungen. Kann ja nicht sein, dass vor lauter pädagogischem Anspruch und Konzept die Rechtschreibung keinen Platz mehr findet.

Wenn dann noch alles, was irgendwie defizitär ist, in den Lehrplan aufgenommen werden soll, dann kann Schule irgendwann nicht mehr leisten, was sie soll.

Beispiele:
1. Klasse Computer-Unterricht. "Wir spielen da doch nur Mathe-Lernspiele, das kann man doch nicht schlimm finden"- doch, weil die lieben Kleinen recht fix raushatten, dass sie nur lange genug rumklicken mußten, dann bekamen sie das richtige Ergebnis. Außerdem war das Fehlergeräusch lustig. Gerechnet wurde da nicht.

Unterrichtseinheit "wir lernen ein Schälmesser zu benutzen". Ohne Frage eine nützliche Fähigkeit, aber für die 3/4 der Kinder, die das schon beherrschten, weniger Zeit für anderes. Außerdem etwas, was ich eher im außerschulischen Lernbereich verorten würde. "Aber Frau Cassandra, wir sind hier ein sozialer Brennpunkt und viele unserer Familien blablabla...."- Ja, dann sollten diese Kinder gezielt gefördert werden, zB am Nachmittag durch eine/n Sonder- oder Sozialpädagogen. Das geht aber nicht weil a) zu teuer und b) ausgrenzend.

Aus der gleichen Rubrik: Elternabende mit Ansprache der Klassenlehrerin, dass die Kinder bitte nicht vor der Schule fernsehen sollen.

Schule ist keine sozialpädagogische Maßnahme mit allgemeinverpflichtendem Charakter.


Ich habe jetzt ja frischer Direkterfahrung mit Ausbildung und Berufsschule: wir langweilen uns alle. Da könnte man mehr vermitteln. Der Englischunterricht ist nicht anwendbar weil veraltet. DerFachunterricht findet nur die Hälfte der Zeit statt, in der anderen Zeit ist der Lehrer weg.