Ein kurzes Pladoyer für die Babyklappe
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,819666,00.html

Ich verstehe nicht so recht, wie eine Schwangerschaft verheimlicht werden kann, aber anscheinend geht das. Ich sah zwar ab dem 4. Monat deutlichst schwanger aus und ab dem 6. war ich ein Fall für "Rettet die Wale", aber das muss ich auch gar nicht verstehen. Es reicht wenn ich weiss, dass das geht.

Ich habe mich über jedes meiner Kinder gefreut. Aber das muss nicht jeder Frau so gehen.

Was spricht gegen die Babyklappen?

Ja, die Kinder werden nie erfahren, wer ihre biologischen Eltern sind. Und? Sie sind am Leben. Sie sind weder im Mülleimer gelandet noch aus dem Fenster geworfen worden noch lagen sie in der heimischen Tiefkühltruhe und was an Horrorgeschichten noch in den letzten Jahren passiert ist. Sie leben. Und das ist die Grundvorraussetzuing für die Frage "wer bin ich, wo komme ich her?". Die, die tot in Mülleimern gefunden werden, stellen diese Frage nicht.

Diese Kinder mögen später das Gefühl haben "meine Eltern wollten mich nicht". Mag sein. Aber vielleicht werden sie auch denken "Meine Eltern wollten mich. So dringend, dass sie den Papierdschungel einer Adoption durchgestanden haben".

Ist die Frage, wer die biologsichen Eltern waren, wirklich so drängend, dass das Überleben dahinter zurückstehen muss?

Niemand weiss, was mit den Babies geschehen wäre wenn ihre Mütter oder Väter sie nicht abgegeben hätten.
Wollen wir das Risiko von getöteten Säuglingen wirklich eingehen wenn diese Klappen verboten werden?

Was spricht gegen eine anonyme Geburt? Wo ist das Sicherheitsrisiko? Und wie gross ist es im Vergleich zu einer Geburt im heimischen Badezimmer? Als Frau, die bei 2 ihrer 3 Geburten ohne medizinische Hilfe verblutet wäre, jagt mit der Gedanke Schauer über den Rücken.


Ich habe 2 adoptierte Verwandte. Auch sie haben keine Ahnung, wer ihre leiblichen Eltern waren oder sind. Sie wissen nicht, wo ihre leibliche Schwester abgeblieben ist oder ob sie überhaupt noch lebt.

Für mich spricht aus "du musst deine Vorfahren kennen" eine Blutsideologie, die ich nicht gutheissen kann- verstehen tue ich sie denke ich sehr genau. Die Frage, wer man ist, definiert sich, auch wenn der Reichsheini und Konsorten uns das erfolgreich erzählt haben, nicht aus unsere Vorfahren.


Babyklappe und anonyme Geburt retten Leben- auch wenn es nur ein einziges ist. Sie zu verbieten heisst, Aussetzung und Kindstötung hinzunehmen. Egal ob man die Leichen findet, statistisch erfassen und verwalten kann oder nicht.
Die im Artikel angesprochenen Schwachstellen (Unkenntnis über den verbleib der Kinder, keine statitischen Daten) könnte man einfach lösen: Meldepflicht und Adoptionsvermittlung durch das Jugendamt. Deswegen muss niemand die Babyklappe abschaffen.




sid am 07.Mär 12  |  Permalink
Wär doch zu einfach als Lösung... (und zu günstig) *Zynismus off*

sturmfrau am 07.Mär 12  |  Permalink
Ist die Frage, wer die biologsichen Eltern waren, wirklich so drängend, dass das Überleben dahinter zurückstehen muss?

Hat das wer gesagt? Der Artikel stellt doch lediglich heraus, dass es Schwierigkeiten gibt, mit denen vor der Einführung dieser Einrichtung kein Mensch gerechnet hat. Von einer Abschaffung der Babyklappe ist gar nicht die Rede. Die Sichtweise "Babyklappe oder Tod" verkürzt das Problem.

cassandra_mmviii am 07.Mär 12  |  Permalink
Die Diskussion um die Babyklappen geht ja schon eine Weile. Zwischendrin hat der Ethik-Rat auch die Abschaffung empfohlen.

In diesen Klappen werden Menschen gelegt. Jedes einzelne Kind, was dort abgegeben wird, ist eine klare Bestätigung der Idee Babyklappe.

Es geht für diese Kinder um die Frage, ob sie überleben oder nicht. Das verkürzt gar nichts.

Adoptionen, in denen die Daten der leiblichen Eltern eine Zeitlang unter Verschluss gehalten werden, gibt es bereits. Und das hat gegen die Kinder in Mülltüten nicht wirklich geholfen.

Jedes Krankenhaus, jede Polizeiwache, jede Feuerwache muss mit so einer Klappe ausgestattet werden. Damit die Kinder sicher abgegeben werden können.

sturmfrau am 07.Mär 12  |  Permalink
Damit ich nicht missverstanden werde: Ich bin eine klare Befürworterin der Babyklappe und stimme vollkommen zu, dass jedes Baby, dass dort abgegeben ist, ein gerettetes Baby ist.

Mit Verkürzung meine ich, dass es eben nicht nur um Überleben oder Sterben geht, sondern auch darum, dass man sich den Gründen widmen muss, warum Kinder sowohl in Babyklappen gelegt als auch getötet und im Müll "entsorgt" werden und wie es so weit kommt, dass schwangere Frauen ihre Schwangerschaft verheimlichen und im Verborgenen gebären. Zudem muss man sich den Problemen, die bei der Abgabe von Kindern in der Babyklappe entstehen, widmen. Eine Frau sollte sich nicht rechtfertigen müssen, wenn sie ein Kind lieber abgibt, sei es nach einer anonymen Geburt, in der Babyklappe oder ganz offen per regulärer Adoption. Ich denke mir aber, dass sich viele werdende Mütter, die eigentlich kein Kind wollen oder sich damit überfordert fühlen, genau damit konfrontiert werden, nämlich mit dem moralisierenden Zeigefinger der Beratungsstellen, aber auch der Gesellschaft. Sie fürchten Fragen und Bedrängung und spüren, dass sie mit ihrem Entschluss nicht respektiert werden. Diese Probleme stellt der Artikel sehr schön heraus. Für Frauen, die nicht in diesen Rechtfertigungszwang kommen wollen, ist die Babyklappe eine Lösung, und sie ist eine gute Lösung.

Woran man einfach nicht gedacht hat, ist, dass mit diesen Kindern auf eine einheitliche Weise verfahren werden muss, damit keine Willkür im Umgang mit menschlichen Leben Einzug hält. Das ist ein Punkt, den man an der Babyklappe kritisieren kann, und das zu Recht. Die Alternative zur Kindstötung muss eine echte, angemessene und fundierte sein, sonst stellt sie sich eben genau selbst in Frage.

cassandra_mmviii am 07.Mär 12  |  Permalink
Ganz ehrlich: die Probleme sollten sich mit einer Meldepflicht (die Kinder bekommen ja auch Geburtsurkunden) regeln lassen, die Klappen grundsätzlich wegen der paar "Holpersteine" in Frage zu stellen und zugunsten einer eben nicht mehr anonymen Geburt a la Schröder abzuschaffen oder einzuschränken ist wirklich am Ziel vorbei.

ginnyweasley am 07.Mär 12  |  Permalink
Ich sehe das so:
Man darf sein Kind ja immer behalten. (Spich die Klappen nehmen einem die ja net weg.) Deswegen sollte man sich auch nicht darüber beschwehren. Das ist für einige eine gute Sache und hilft Menschen weiter.

Wie mit Pornos. Sie existieren, ein paar Menschen finden sie gut und andere nicht. Und sie existieren trotzdem.
(Das war nur ein Vergleich und soll jetzt nicht missverstanden werden!)

cassandra_mmviii am 07.Mär 12  |  Permalink
So was in der Art. Niemand wird gezwungen, sein Kind wegzugeben, weder in eine Babyklappe noch zur Adoption.

Das Problem mit Kindern, die gerne wissen wollen, wer ihre Eltern sind, sehe ich zwar, aber wie gesagt: am Leben zu sein ist die Vorraussetzung, diese Frage stellen zu können.

Die Zusicherung, dass niemals jemand von dem Kind erfahren wird, kann schon den Unterschied machen.

Warum Frauen ihre Schwangerschaften verbergen, dass es selbstverständlich besser wäre, sie würden Vorsorge für ihre ungeborenen Kinder bekommen- klar, gar keine Frage. Aber dieses Problem lösen wir nicht, indem wir Babyklappen abschaffen.
Ich weiss nicht, ob diese Fragen jemals gelöst werden können- Frauen sind Menschen und die sind unterschiedlich. Was die eine als "doof gelaufen, macht aber nix" abhakt ist für die andere eine existenzielle Bedrohung.

Niemand weiss, ob die Einführung von Babyklappen die Anzahl getöteter oder ausgesetzter Neugeborener verringert hat weil niemand weiss, wie viele Leichen nicht gefunden werden.
Niemand weiss, was die Frauen bewegt weil sie anonym bleiben und ihnen keine Fragen gestellt werden- eben weil man sie nicht drängen will, sondern ihre Entscheidung respektieren.

Die Anonymität zugunsten von "in 10 Jahren erst wird dein Kind erfahren, wer du bist" zurückzunehmen steigert die Hemmschwelle, sich bei der Geburt Hilfe zu holen.

Die Babyklappen abzuschaffen bedeutet, einen sicheren Platz für das Kind abzuschaffen.

Und beides halte ich für eine absolut untragbare Idee.

arboretum am 29.Mär 12  |  Permalink
Es gibt keinerlei Beleg dafür, dass Babyklappen Leben retten. Die Zahl der Kindstötungen ist seither auch nicht zurückgegangen. Dafür scheint es eine erhebliche Zahl von Babyklappen-Kindern zu geben, über deren Verbleib es keine verlässlichen Informationen gibt. Auch die Jugendämter wissen nicht Bescheid. Nachzulesen im Tagesspiegel:
Die verlorenen Kinder.

Die Frage, wer sind eigentlich meine leiblichen Eltern - und warum gaben sie mich weg -, treibt viele Adoptivkinder um. Ich finde das auch verständlich.

cassandra_mmviii am 29.Mär 12  |  Permalink
Ja, die Frage nach den leiblichen Eltern treibt viele Adoptivkinder um. Aber um diese Frage stellen zu können muss man am Leben sein, das ist die absolute Grundvorraussetzung für so ziemlich alle Fragen.

Bei jedem Kind, was in eine dieser Klappen gelegt wird, stellt sich die Frage: was wäre wenn es diese Klappe nicht gegeben hätte? Noch ein Baby, was in einer Plastiktüte irgendwo gefunden wird? Oder eben nicht gefunden- wie hoch die Zahl der Kindern die einfach nach der Geburt "verschwinden" ist, weiss keiner weil niemand weiss, wie viele Leichen nicht gefunden werden.
Möchten wir dieses Risko eingehen oder anders gefragt: was ist ein menschliches Leben wert?

Wie in einem verwaltungssüchtigen Staat wie der BRD Kinder "verlorengehen" können verstehe ich nicht so recht. Macht nichts, es reicht wenn ich zur Kenntnis nehme, dass es passiert.
Jedes Kind bekommt eine Geburtsurkunde, auch wenn es gefunden wird, dh erst mal sind diese Kinder registriert. Da kann man nachbessern, klar, zB mit einer Meldepflicht ans Jugendamt, aber das ist kein Grund, die gesamte Sache einzustampfen.

Mit schlampig geführten Aufzeichnungen werden wir wohl solange Menschen beteiligt sind leben müssen. Egal ob es um Geburten, Todesfälle (irgendwie waren auch Tote nicht aus Einwohnermelderegistern gelöscht worden wenn ich mich recht erinnere) oder Einschulungsbescheide an Menschen über 106 geht.