Freitag, 4. Oktober 2013
Mutterängste
Ich fürchte, Tigermädchen wird blond...



Lampedusa
“Flüchtlinge, im Meer umgekommen, in den Booten die anstatt ein Weg der Hoffnung zu sein ein Weg des Todes wurden. So lauten etliche Schlagzeilen in den Zeitungen! Als ich vor einigen Wochen die Nachricht bekommen habe, die sich leider noch einige Male wiederholt hat, wurde das Denken daran mir zu einem Stachel im Herzen, der Leiden bringt. Und ich wusste, dass ich hierher kommen muss, um zu beten, um ein Zeichen der Nähe zu setzen, aber auch um unsere Gewissen zu wecken, so dass sich das, was passiert ist, nicht wiederholt. Nie wieder!“, predigte Papst Franziskus (Lampedusa, Juli 2013).


An Europas Grenzen sterben Menschen, das Mittelmeer ist zum Massengrab geworden.



Noch ein paar Gedanken zum 3. Oktober
23 Jahre nach der Einheit sollte man seinen Frieden damit gemacht haben- Zeitmaschine und ändern ist ja nicht (oder?)


Was ist das Narrativ Deutschlands? Ich tue mich mit dem Begriff ja schwer, es ist die Bundesrepublik Deutschland, abgekürzt BRD. Aber was ist das Narrativ dieser Nation? Oder, etwas kleiner gefragt: kann man die BRD als Hollywood-Film denken? Nein, kann man nicht, das ist nicht mal eine Tragikomödie mit irgendwie sympathischen Loosern als Protagonisten.

Als Titelmusik schlage ich für's erste "Dann kam das Wirtschaftswunder, dann kam das Wirtschaftswunder" vor.

Den Staatsgründungstag, den 23, Mai, merkt man nur weil offizielle Gebäude die Fahne gehißt haben.

Damit der Nationalfeiertag keinen wirtschaftlichen Schaden anrichtet, wird immer mal wieder überlegt, ob man ihn denn nicht am nachfolgenden Sonntag "nachfeiern" solle. Identifikation erreicht man so nicht, dem Bürger dürfte es ziemlich wumpe sein, wann der Bundespräsident eine Rede hält, von der er sowieso nur 3 Sätze in den Abendnachrichten hört.

Stuttgart "leistete" sich das "Bürgerfest" (das man zum Feiern des Nationalfeiertags extra betonen muß, daß hier was für Bürger gemacht wird, ist an sich schon seltsam) und es scheint mehr als Fressen&Saufen gewesen zu sein, die "Blaulichtmeile" hat der jungen Verwandtschaft ernsthaft Spaß gemacht (sie waren da und haben ALLES ausprobiert). Aber ich bin mir sicher: auch hier war der warnend-moralische Zeigefinger der Oberlehrerbedenkenträgerfraktion nicht weit.

Eigentlich wollte ich mir Gedanken machen, was das Narrativ der BRD ist. Beim Schreiben wird mir immer klarer, daß wir keins haben. Wir eiern rum.


"Die Werte des Grundgesetzes" werden oft zitiert, aber wenn man dann mal hinguckt, sieht man, daß sie oft in der harten Realität wegkrümeln:

Die Wahrung der menschlichen Würde- schon mal in einer Flüchtlingssammelunterkunft gewesen? Wo die Klos kaputt waren und es stank? Wo Kinder mit Müll spielten weil es nichts anderes gab?

Postgeheimnis- drei Buchstaben: NSA

Unverletzlichkeit der Wohnung- wie viele Obdachlose haben wir nochmal? Zählt diese Unverletzlichkeit des privatesten Bereiches auch für HartzIVler, die die Kühlschranktür aufmachen müssen, damit das Amt die Butterstücken zählen kann?

Alle Gewalt geht vom Volke aus- aber wir lassen es lieber draußen, das ist sicherer.

Freiheit des religiösen Bekenntnisses- ja, man darf, aber bitte weitgehend konsequenzenlos. Ich darf glauben so viel ich will, aber sobald daraus ein "Störfaktor" erwächst, ist es Essig. Beispiele: Burkini-Urteil und und Krabat. Ich bezweifle, daß es eine staatsbürgerliche Verpflichtung, schwimmen zu können oder in seiner Freizeit ins Freibad zu gehen, gibt und habe selbst Krabat nicht im Deutschunterricht gelesen.
Wobei ich das Burkini-Urteil an sich begrüße: es sichert nämlich Frauen, die, ob Muslima oder nicht, keinen Badeanzug tragen wollen, weil er ihnen zu knapp ist (zB weil sie ihre Cellulitis-Beine lieber bedecken möchten) dieses Recht zu, kein Bademeister auf Verteidigung-des-Abendlandes-Mission darf sie jetzt noch aus dem wasser werfen weil ihm ihre Badebekleidung mißgefällt. Ich hatte den Zorres nämlich auch schon mal weil ich in Boardshorts und Tankini-Oberteil ins Becken wollte (meine Lust auf Sonnenbrand ist unterentwickelt) und das nicht ging weil man das nicht macht. Aber dennoch: der Staat entscheidet am Ende, was ein zulässiges Bekennen ist und was nicht.

Asylrecht- die ganz große Lektion aus dem Nationalsozialismus ist, das politisch Verfolgte aufgenommen werden müssen. Wir definieren Staaten wie Ungarn als sicher für Roma, Ungarn ist in der EU und da gibt es keine politische Verfolgung. Man kann sich die Welt auch schöndefinieren. Das nennt man dann "Realitätsverlust" oder wenn es ganz hart wird "Schizophrenie".

An sich sind das tolle Werte, aber man muß auch machen und nicht nur reden. Freiheit, so sagte Rosa Luxemburg, ist immer Freiheit für den Andersdenkenden. Diese Werte hichzuhalten, auch wenn es unbequem/gefährlich/teuer wird, ist der Prüfstein, an dem sich mißt, wie ernst man es emint. Und da sehe ich in der BRD deutliche Defizite.


Was ist nun das Leitthema unseres Narrativs als Land? Wie kann man es kurz&knapp zusammenfassen? Ich weiß es immer noch nicht.