Die Wöchnerin
http://m.faz.net/aktuell/stil/leib-seele/china-seltsame-mediizin-fuer-frisch-entbundene-13655019.html

Ich gebe zu: die Idee, mir einen Monat lang nicht die Zähne zu putzen, finde ich befremdlich und das ist mild ausgedrückt.

Aber das Wochenbett kennen wir auch und so völliger Aberglaube ist das nicht. Eine Zeit des Ausruhens, des Nichtarbeitens und des Liegend. Es heißt nämlich Wochenbett, nicht Wochenwandertage, sagte meine Hebamme.

Wir ignorieren diese Zeit, Frauen sollen möglichst schnell wieder fit seien, rumliegen ist nicht.

Für viele frische Mütter sieht die Realität als Wöchnerin (ja, das Wort gab es einmal) heute so aus: der Kindsvater muss wieder arbeiten, die ist nicht nur müde und körperlich wund, sondern auch mit dem Baby alleine. Und den großen Geschwistern dazu. Die wollen zu essen, rausgehen, bespielt werden und nachmittags rückt die Verwandtschaft zum Babygucken an und erwartet Kaffee und selbstgebackenes - bist ja zu Hause und hast Zeit ... Wohnung muss dafür auch geputzt werden, selbst wenn man die mishpoke am liebsten zum Mond schießen würde.
Wir haben das Wochenbett abgeschafft. Das ist kein Fortschritt.

Unsere Haltung finde ich auch befremdlich.

Rettet das Wochenbett!
Vor Victoria Beckham, die eine Woche später schon wieder arbeitete!
Vor dem “eine Geburt ist doch keine große Sache“-Männern in den Gesundheitsverwaltungen!
Vor den Superfrauen, die schon wieder in ihre Hosen passen!
Notfalls rettet es vor grantigen Schwiegermonstern mit schlechtem Essen.
Aber rettet es!




pathologe am 20.Jun 15  |  Permalink
Afrika:
Nach der Geburt ist das Haus voller Schwestern, Cousinen und den beiden Müttern (im Idealfall), die der Mutter alle Arbeiten abnehmen, sie waschen, versorgen und sich um das Baby und dessen Geschwister kümmern. Die frisch entbundene Mutter bekommt ihr Baby lediglich zum Füttern zu Gesicht.
Diese Tradition gibt es immer noch bei den "unzivilisierten Wilden". Der Familienzusammenhalt ist größer als bei uns. Natürlich ist nicht alles eitel Sonnenschein, der Mann im Haus muss sich der finanziellen Verpflichtung stellen, nun ein halbes Dorf mit durchzufüttern.

Meine Frau versuchte, diese Tradition aufrechtzuerhalten. So kam nach der Geburt unserer Tochter den ganzen April ihre älteste Schwester, den ganzen Mai war ihre Mutter bei uns. Und am Wochenende kommt ihre jüngste Schwester für maximal 3 Monate zu uns (Schengenvisum, maximale Aufenthaltsdauer 90 Tage im Halbjahr).

Wir haben also immer ein volles Haus.

cassandra_mmviii am 20.Jun 15  |  Permalink
Das finde ich zivilisierter als die Sitte, den körperlichen Zusatz der Wöchnerin zu ignorieren.

Ich hatte eine problematische erste Geburt. Kurzfassung: 12 Tage Krankenhaus.
Frisch zu Hause, musste der frischgebackene Tigerpapa wieder in's Labor. Er kaufte auf dem Rückweg ein weil ich zu krank war, Einkäufe und Kind vier Treppen hoch zu tragen.

Ich war jung, unerfahren und blöd: ich hörte auf den mütterlichen “Ratschlag“, die Zeit, die das Kind schleife, für die Hausarbeit zu nutzen. Hier sähe es unmöglich aus und überhaupt müsse das “Gewese“ aufhören, die Frauen früher hätten ihre Kinder auch bekommen und am nächsten Tag Rüben gehackt auf dem Feld. Ich solle mich mal zusammenreißen.

Das tat ich. Ich putzte, weiß mich zusammen und ging einkaufen, lief ich diese Treppe halt doppelt. Ich Wunsch und schleppte Körbe voller nasser Wäsche. Und wissen Sie was? Mir blieb die Milch weg. Also mischte ich auch noch Fertigmilch an und desinfizierend Flaschen. Ich war ... dämlich.

Das klappte eine Woche lang. Dann klappte ich, nämlich zusammen. Ich legte mich in's Bett, neben mir Wasser, Schokolade und Baby. Ich schlief ein und wachte nur zum Füttern auf und wechselte die Windeln im Bett. Plötzlich hatte ich wieder Milch. Ich aß kalte Reste aus dem Kühlschrank und schlief weiter. Der Korb Wäsche? Stand nass auf dem Flur. Mir doch egal.
Tigergatte kam wieder und machte sich sorgt: es wäre mir doch schon besser gegangen. Nein, ich hatte mich nur zusammen gerissen.
Das tat ich die nächste Zeit. Und raus ging ich nur noch wenn ich wollte. Und ganz langsam wurde es besser.

Verwandtschaft kam weiter und guckte komisch wenn es weder Kuchen gab noch lange Sitzrunden. Einmal gab es doch Kuchen ... Und Tigergattens Tante war irritiert weil ich mir ein Stück zur Seite stellte als ich Stillen ging. Wieso? Weil ich auch eins will. “Mütter opfern ...“ mit einem Mund voller Kuchen ... Opfer doch selbst!


Bei der letzten Geburt lag auch eine junge Türkin auf der Station. Die hielt Hof :-)
Sie saß im Zimmer, trug einen ihrer diversen Morgenröcke mit passendem Kopftuch, ihre Verwandtschaft stand und reichte Häppchen an. So gehört sich das!