Maternage
Und noch ein Fall für Kollegen Loco:

Die Französin wird in Deutschland gerne als die perfekte Frau dargestellt: schick, sofort nach der Geburt wieder schlank und sie hat einen Job, über den man auf Cocktailparties gut plaudern kann- also nichts Langweiliges oder mit Schweigepflicht. Das ist spätestens seit "Bringing up Bébé"" wieder mal akut.

Ein paar Damen haben das Buch allerdings anscheinend nicht gelesen, ihre Stöckelschuhe in die Ecke geworfen und brechen aus:
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/frankreich-muetter-wollen-mehr-zeit-mit-kind-verbringen-a-927412.html

Ich hoffe, Mme Badinter bekommt keinen Herzinfarkt :-)




mark793 am 27.Okt 13  |  Permalink
Die Französin wird in Deutschland gerne als die perfekte Frau dargestellt

Ach ja? Kommt drauf an, wo man liest. Man muss nicht unbedingt im Sankt-Pirmins-Boten oder dem Konradsblatt blättern, um von der typischen Französin ein kontrastierendes Bild als karrieregeiles, herzloses und egosistisches Miststück gezeichnet zu kriegen.

cassandra_mmviii am 27.Okt 13  |  Permalink
Ich dachte mehr an das, was im verlauf von Mme Badinter und ihrem "die Französin ist Dame der Gesellschaft, die hat wichtigere Aufgaben wahrzunehmen"-Diskurs so auftauchte und dann nochmal bei "Bringung up Bebe", als auf einmal entdeckt wurde, daß französiche Frauen viel schneller wieder schlank werden nach der Geburt und überhaupt gepflegter aussehen trotz Kindern. Und die Müttererwerbsquote ist da ja auch viel höher.

Das es völlig unrealistisch ist, anzunehmen, eine Staasangehörigkeit hilft beim Abnehmen... ja, schön wäre es ;-)

mark793 am 27.Okt 13  |  Permalink
Ich habe jene Debatte nicht so minutiös mitverfolgt, aber dass es auch Französinnen gibt, die das dort dominierende Maman-Modell nicht unbedingt als das erstrebenswerteste überhaupt sehen, habe ich schon mitbekommen.

Im Übrigen ist das "Frau Mama hat besseres zu tun" nicht unbedingt ein französisches Spezifikum, sondern in hohem Maße auch schichtspezifisch, um nicht zu sagen großbürgerlich. Die Londoner Gastfamilie unserer Lütten (er Investmentbanker deutscher Herkunft, sie Amerikanerin mit ähnlichem Background, Kinder auf Privatschulen etc.) lebt das französische Modell, und auch wenn Madam inzwischen nicht mehr im Erwerbsleben steht, so geht sie doch völlig in Charity-Engagements und dergleichen auf, für die alltäglichen Verrichtungen der Reproduktionsarbeit gibt es schließlich eine Nanny und manchmal auch ein au-pair-Mädchen. So kommt es zu dem kuriosen Ergebnis, dass obwohl die Mama de facto zu Hause ist, die Kinder trotzdem irgendwie weniger (oder zumindest definitiv nicht mehr) von ihr haben als unsere Lütte von meiner voll berufstätigen Frau.

cassandra_mmviii am 27.Okt 13  |  Permalink
"Ich habe jene Debatte nicht so minutiös mitverfolgt, aber dass es auch Französinnen gibt, die das dort dominierende Maman-Modell nicht unbedingt als das erstrebenswerteste überhaupt sehen, habe ich schon mitbekommen."


Ich würde es einen voll ausgeprägten Zickenkrieg nennen, Debatte klingt so sachlich :-)


Wenn Mme Badinter sagt, die Französin sei im, Gegensatz zur Deutschen, immer Dame der Gesellschaft gewesen und habe dort Verpflichtungen gehabt, dann deutet das zumindest an, wie Mme Frauen, ganz allgemein und im großen und ganzen, in welchem Land wahrnimmt.

Das dahinter eine Schichtwahrnemung steht: klar. Wenn die französiche Mutter sich ein Kindermädchen "nimmt", dann fragt man sich, wer das Kindermädchen ist. Die ist dann entweder keine Französin (Postkolonialismus anybody?) oder sie wird zumindest als solche wahrgenommen.
Man kann schon fragen, wie das Büromäuslein sich sowohl Kindermädchen als auch Hausangestellte leisten will, damit sie neben ihrer Erwerbstätigkleit noch ein paar gesellschaftliche Verpflichtungen hinbekommt.
Daß da irgendwas klemmt- dazu muß man keinen Ingenieur in Argumentation gemacht haben.


Wer debattiert öffentlich und prägt so Meinung und wer teilt sie- das ist ja nie ganz einfach. Wenn man die Polit-Talks des Nachts (habe ich nur am Rand auf dem Schirm) anzappt, dann sitzen da immer die gleichen Verdächtigen, die wohlbekannte Positionen austauschen.

Die öffentlicher Meinung war, daß am 1. August die Kommunen flutwellenartig von KiTaplatzklagen überschwemmt würden. Der Tsunami ist ausgeblieben. da klafft wohl was auseinander.

Mme Badinter ist nicht ganz ohne Einfluß, soweit ich das von hier sagen kann, auf die Öffentliche Meinung in belle France Ob sie deswegen in Frankreich unumstritten ist? Wie viele Frauen können es sich überhaupt leisten, so Französin zu sein?

mark793 am 27.Okt 13  |  Permalink
Mme. Badinter ist sicher nicht ohne Einfluss, aber zum Teil kamen mir ihre Einlassungen ziemlich defensiv vor, voller Sorge, es würde unweigerlich einem umfassenden Rollback zuarbeiten, wenn an dem Dogma des Madame-hat-soundso-zu-funktionieren gerüttelt wird und ein paar Mamis sich den Luxus leisten, ein anderes Modell zu leben.

Dass man sich diese gesellschaftlichen Verpflichtungen erst mal leisten können muss, ist weder von ihr selber noch in der Rezeption hierzulande (soweit ich das in der FAZ und in anderen Kanälen wahrgenommen habe) thematisiert worden. Es ist da immer viel mit Begriffspolaritäten von konservativ-progressiv und kirchlich-laizistisch und was weiß ich noch alles argumentiert worden, dabei müßte man es gar nicht so gigantisch hoch hängen, wenn man einfach nur zur Kenntnis nähme, dass das Bürgerliche in Frankreich und hierzulande ein paar recht unterschiedliche Ausprägungen hat.

cassandra_mmviii am 27.Okt 13  |  Permalink
Kollege Loco nannte gestern den Franzosen Laizismus-Taliban mit Angst vor allem, was anders ist als er (oder so ähnlich).
Vor dem Hintergrund kann die Aussicht, mehrere Familienmodelle könnten koexistieren, zur Verteidigung des Einzig Wahren Weges führen, selbst wenn 6000 Exemplare einer Zeitschrift für anderes Eltern-sein den französischen Staat wohl eher nicht in seinen Grundfesten erschüttern werden (und wenn doch, hat er ein ganz anderes Problem als 6000 Druckexemplare).

loco-just-loco am 28.Okt 13  |  Permalink
Den Staat vielleicht nicht - aber den durchschnittlichen Franzosen wird das durchaus erschüttern...
ich muß mir grad mal durchlesen, was mme Badinter da von sich gegeben hat. Immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, daß die Badinters aus einer anderen Zeit stammen - und Elisabeth Badinter zu den 60 reichsten Franzosen zählt. Komme gleich wieder, jetzt erst mal die Mainzelmännchen. ;)

Ach so, die Dame sagt ja gar nix... aber nur mal am Rande: die ist ein typisches 68-er-Gewächs, "wir verändern die Welt, aber nur da, wo wir unsere Privilegien nicht verlieren", typisch französisch "ich hab meine Kinder nicht geliebt, also ist es völlig unnatürlich, wenn Mütter ihre Kinder lieben, und ich werd alles dafür tun, das der Welt klarzumachen." - und wahrscheinlich hat sie einen kräftigen Vaterkomplex: mit 22 einen Mann heiraten, der 16 Jahre älter ist, und binnen kürzester Zeit, noch vor dem Examen (das Maîtrise-Studium dauert fünf Jahre, wird also mit 23 oder 24 abgeschlossen!) drei Kinder in die Welt setzen, und sich dann Feministin nennen!

Ja, und Françoise Dolto, dazu sag ich mal lieber nicht viel. Ihre Analysen sind möglicherweise bahnbrechend - und gar nicht Badinter-konform - aber die Pädagogik, die daraus entstand, ist haarsträubend. So seltsam das klingt. Vielleicht wird die Frau seit 75 Jahren mißverstanden...

Interessanterweise weiß ich von den Damen, die heute Groß- und Urgroßmütter sind - die stellen ja mein übliches Arbeitsfeld dar - daß die genau nicht nach üblicher Dolto-Pädagogik und Badinters wahnwitzigen Vorstellungen gelebt haben, soweit sie es denn konnten.
Und von den Nachkommen dieser Alten weiß ich nur zu gut, wie wichtig es für ein gelungenes Leben ist, in der Kinderzeit die Mutter gehabt zu haben. Das kommt aus einer dreistelligen Zahl von Trauergesprächen eindeutig zu Tage: wo die Mutter abwesend war, leben die Kinder z.T. 60 Jahre später noch in der Suche nach der Liebe, die sie nie kannten. Wo die Mutter liebevoll präsent war, wars egal, ob man nur trockenes Brot hatte, man hatte eine glückliche Kindheit.
Was die Badinter-Nachkommen dereinst über ihre Mutter sagen werden, werde ich nicht zu hören bekommen; sie wird wahrscheinlich nicht kirchlich - und wenn doch, dann nach katholischem Ritus begraben werden. Aber ich hab so eine Ahnung.

cassandra_mmviii am 28.Okt 13  |  Permalink
ich habe Mme Badinter seit "Der Konflikt" auf dem Radar, vorher flog sie unauffällig unter demselben durch.


"Ach so, die Dame sagt ja gar nix... aber nur mal am Rande: die ist ein typisches 68-er-Gewächs, "wir verändern die Welt, aber nur da, wo wir unsere Privilegien nicht verlieren""
Ich befürchte, die dame hat eine Menge davon zu verlieren. Guter Grund, den status quo zu verteidigen, notfalls bis zum letzten Tropfen Blut (vorzugsweise das des anderen)

"typisch französisch "ich hab meine Kinder nicht geliebt, also ist es völlig unnatürlich, wenn Mütter ihre Kinder lieben, und ich werd alles dafür tun, das der Welt klarzumachen." "
Ich würde jetzt nicht soweit gehen, zu unterstellen, in Frankreich wären generell alle Eltern gefühlskalt oder würden ihre Kinder nicht lieben.

Ich war, damals, vor einem Vierteljahrhundert, total begeistert von dem intakten Familienleben meiner frz Austauschfamilie, welches in so lebhaftem Gegensatz dazu standm wie es bei uns meist zuging.
Allerdings war da Maman Hausfrau, die ihre beiden Töchter (plus mich) jeden Morgen zur Schule brachte und mittags zum Essen zu Hause erwartete.

"und wahrscheinlich hat sie einen kräftigen Vaterkomplex: mit 22 einen Mann heiraten, der 16 Jahre älter ist, und binnen kürzester Zeit, noch vor dem Examen (das Maîtrise-Studium dauert fünf Jahre, wird also mit 23 oder 24 abgeschlossen!) drei Kinder in die Welt setzen, und sich dann Feministin nennen!"


Die Dame hat 3 Kinder innerhalb von 3 Jahren bekommen und gleichzeitig Examen gemacht?
Ich fürchte, das geht tatsächlich nur, wenn man Nanny und anderes Personal hat. Das ist, wenn man nach dem Examen unter den gleichen Vorraussetzungen arbeiten geht, ein sehr priviligiertes Arbeiten und hat tatsächlich etwas von "Dame der Gesellschaft", an der Lebensrealität der meisten berufstätigen Französinnen dürfte es genau so vorbeigehen wie an der von berufstätigen Deutschen.

loco-just-loco am 30.Okt 13  |  Permalink
Mißverständnis: typisch französisch ist "das seh ich so, also muß der Rest der Welt das genauso sehen."
Der Inhalt dessen, wofür Mme Badinter missionarisch durchs Land und die Welt zieht, ist eher untypisch für Frankreich. Auch und gerade (!) für die wirklichen Feministinnen ihrer Generation.