Zutrauen
Als ich 4 geworden war durfte ich alleine vom Kindergarten nach Hause gehen. Morgens kam oft mene Oma noch mit weil sie eh einkaufen ging, aber ich ging auch alleine.

Im letzten Kindergartenjahr sollten alle Kinder alleine gehen. Das war wichtig als Schulvorbereitung.

oh tempora, oh mores

Heute werden die Kids am besten ins Klassenzimmer gefahren.

Ich habe letztes Jahr den Grossen Tiger geschickt, die Geburtstageinladungen in der Nachbarschaft alleine verteilen. Keine grossen Strassen zu überqueren, nur Park oder Spielstrasse.

"Das traust du dich?"


Um es mal deutlich zu sagen: ja, ich habe Angst, dass irgendein Wahnsinniger ihn unterwegs entführt. Grosse Angst sogar. Aber ich sehe da noch eine andere Gefahr: vor lauter Angst gelähmt zu werden und ihm das Grosse Abenteuer Kindsein zu nehmen und ein Kind zu erziehen, was nie gelernt hat, alleine mit Schwierigkeiten fertig zu werden. Das sind alles noch moderate Schwierigkeiten, die auf dem Nachhauseweg vom Sport aufkommen können (Kette vom Fahrrad ab zB), aber es übt für die erste Bahnreise alleine, für den ersten Urlaub ohne uns (mir graut jetzt schon davor!).

Unsere Elterngeneration hatte das Zutrauen in uns, dass wir nachmittags alleine rumstromern konnten.

Ich bin auf dem Dorf grossgeworden, in einer anderen Zeit, als Menschen noch mehr Zeit hatten. Da war immer jemand, der durch's Fenster geschaut hat wenn wir was angestellt hatten und gar keine Probleme, dass unseren Eltern brühwarm zu erzählen.
Es gab einen grösseren Konsens über das, was geht und das, was nicht geht.

Das hat auch Nachteile; seinen eigenen Weg finden zu können ist ein grosses Privileg. Aber es ghat auch Nachteile: Lara-Sophie-Charlottes Mama war es gestern scheissegal als ich ihr sagte, dass ihr kleiner Engel sein Süssigkeitenpapier bei uns über den Zaun wirft.

War die Welt früher wirklich ungefährlicher?




mark793 am 20.Jun 12  |  Permalink
Tja,
die Kleine (7) darf alleine zur Schule und nach Hause, aber das sind auch nur paar hundert Meter. Zudem kannte sie die Location und den Weg schon von der musikalischen Früherziehung. Trotzdem sorgte das für Riesen-Erstaunen bei den Mitschüler-Mamis.

Aber wir toppen das noch, in vier Wochen wird sie allein nach London fliegen. Nachdem unser Gastkind von dort (inzwischen 9) sich das traute, will unsere nicht zurückstehen. Und da wir das Procedere mit den begleiteten Flügen ja mit dem Gastkind schon durchexerzierten, ist das Vertrauen doch groß genug - und die Kleine zählt schon die Tage bis zum Flug. Natürlich werden wir in den zehn Tagen ihrer Abwesenheit tausend gefühlte Tode sterben vor lauten Sorgen und Gedanken und womöglich gar nicht so recht wissen, wie wir diesen Freiraum nutzen sollen, aber hey, das gehört halt zum Elternsein auch dazu.

Und dennoch: Wenn ich sie nach der Schule manchmal auf dem Platz eine halbe Stunde allein oder mit anderen Kids außerhalb meiner Sichtweite rumrollern lasse, ist es schon komisch. Aber immer rumglucken und helikoptern, das kanns ja auch nicht sein.

cassandra_mmviii am 20.Jun 12  |  Permalink
Wir wohnen soweit kinderfreundlich wie man das nur kann. Verkehrsberuhigt, Sackgasse, Spielstrasse. Mehr geht nicht.

Von daher dürfen die beiden Grossen nachmittags alleine in der Strasse loszioehen, der Grosse muss Bescheid sagen wenn er die Strasse verlässt, hat aber eine Generalerlaubnis solange er innerhalb des genehmigten Radius bleibt (also Spielplatz und durch den Park bis zum Freund).
Der Mittlere hat da weniger Freiheiten, weiss aber, dass er das auch darf sobald er zur Schule geht. Letztens durften er und das Nachbarsmädchen alleine los, Löwenzahn für die Meersäue im Park sammeln.

Der ganz kleine... keine Chance, aber er übt das Ausbrechen :-)
Sobald er ein Kindergartenkind ist darf er auch alleine um den Block. Dabei wird er dann eh unter brüderlicher Aufsicht stehen die erste Zeit.

Alleine losdürfen ist das Zeichen von "ich bin gross".


Freiraum nutzen:
als sie mal alle weg waren (ja, alle weg!) schlich ich den ersten Tag durch's Haus und wusste absolut nichts mit mir anzufangen.
Leider war ich fusslahm, also war ich nicht so recht unternehmungslustig, Museum gucken schied aus weil ich nicht mal den Schuh anbekam.
Am zweiten ging es dann und am dritten (mittlerweile konnte ich auch wieder einen Schuh anziehen) waren meiner Unternehmungslust dann Grenzen gesetzt durch die Heimkehr der Tigerbande

maracaya am 20.Jun 12  |  Permalink
Teilweise war es tatsaechlich ungefaehrlicher... auf meinem Kindergartenweg kamen frueher pro Tag vielleicht 10 Autos vorbei, heute ein paar hundert - und die fahren auch noch schneller.

Und ich glaube, dass es fuer die Jugendlichen untereinander gefaehrlicher geworden ist - frueher haben sich da nicht so viele gegenseitig abgestochen oder totgepruegelt.

Ansonsten ist es einfach nur anders gefaehrlich. Und ich hoffe auch sehr, mal nicht so ein Helikopterelter zu werden. Auch wenn es verdammt schwierig ist, mit dem loslassen.

cassandra_mmviii am 20.Jun 12  |  Permalink
Ja der Autoverkehr war weniger- bei uns auf dem Dorf ist tagsüber fast kein Auto gefahren (die Leute, die auserhalb gearbeitet haben, waren unrterwegs und wer im Dorf selbst gearbeitet hat war auch nicht am Rumjuckeln) und die Trekker hörte man bevor man sie sah.

Aber trotzdem ist direkt vor unserer Haustür ein Junge überfahren worden.

Das mit dem Abstechen, Tottreten und Komasaufen wird in ein paar Jahren aktuell, in einem Alter, in dem auch die ängstlichste Mama hoffentlich nicht mehr bei jedem Schritt dahintersteht.
Grundschüler sind da weniger betroffen. Wir hatten damals allerdings auch die Jungs, die anderen das Taschengeld abnahmen oder das Pausenbrot. Das waren die Spezialisten, die abands imemr unter den laternen standen und sie austreten oder am Telefonhäuslein rumlungerten. Da stehen die wahrscheinlich heute noch und sind supercool.

Neu sind schoolyard bullies nicht. Leider.