Mittwoch, 20. Juni 2012
Mitteilung an Frau Dörner:
Sehr geehrte Frau Dörner!

Ich las Ihre Rede im Bundestag vom 14. Juni 2012.

"Doch eines haben sie nicht: die Wünsche der Familien im Blick"

Die Wünsche der Familien gibt es nicht. Familien sind nämlich keine einheitliche Masse, sondern unterschiedlich, was zu unterschiedlichen bedürfnissen führt. Nicht mal innerhalb einer Familie sind alle Menschen gleich, das nennt man Individualität. Wäre schön, wenn in Ihrer Politik dafür Platz wäre.


"1,2 Milliarden Euro jährlich sind für das Betreuungsgeld vorgesehen. Eine unsinnige und immens kostspielige Maßnahme, gegen die es zu Recht ein breites Bündnis von Verbänden und Wissenschaftlern gibt, die die Mehrzahl der Deutschen ablehnt und die trotzdem jetzt wider alle Vernunft im Schweinsgalopp durch das Parlament gepeitscht werden soll"

Breit... ganz viele... irgendwie die Mehrheit... das bleibt alles im Ungewissen. Wie wäre es, wenn Sie Zahlen und Namen nennen? Sonst sind wir ganz fix bei "Die Wissenschaft hat festgestellt, dass Coca-Cola Schnapps enthält"
Wenn das Elterngeld so unsinnig und überflüssig ist, können Sie ganz entspannt bleiben: dann wird es nämlich keiner beantragen und die 1,2 Milliarden bleiben auf dem Bankkonto der Bundesregierung.

Übrigens: angesicht der Fantastilliarden, die dieser Tage ins Finanzsystem gepumpt werden, sind 1,2 Milliarden auf einmal doch echt nur Peanuts.

Den "Schweinsgalopp" des parlamentarischen Verfahrens hat Ihre Partei mit mustergültiger Arbeitmoral ja vorbildlich und konstruktiv unterstützt.


"Diese 1,2 Milliarden Euro könnten wir in der Familienpolitik an anderer Stelle sehr viel besser einsetzen. Und das würde auch den Wünschen vieler Mütter und Väter entsprechen. Doch dafür hat die Bundesregierung kein Geld. Beispielsweise liegen die seit 2009 angekündigten Weiterentwicklungen beim Elterngeld, also das Teilelterngeld und der Ausbau der Vätermonate, auf Eis, weil sie unter Finanzierungsvorbehalt stehen."

Gucken Sie sich mal an, wofür in Schweden die Vätermonate gerne genutzt werden- ich schlage den Ausbau des deutschen Jagdwesens und Elchzucht vor, dann werden die Vätermonate bestimmt ganz toll angenommen.


"Bei der kürzlich durchgeführten Anhörung zum Elterngeld waren sich die Expertinnen und Experten völlig einig, dass wir das Teilelterngeld ausbauen sollten. Die jetzige Regelung hat den großen Nachteil, dass die Eltern, die sich die Kindererziehung partnerschaftlich teilen, benachteiligt und diskriminiert werden."

Da sind sie wieder, die ungenannten Expertinnen. Was spricht eigentlich dagegen, wenn ein Elternteil verbindlich die Betreuung übernimmt und wie kommen Sie auf das schmale Brett, dass das weniger partnerschaftlich ist als wenn alles mit Strichliste aufgeteilt wird? Arbeitsteilung ist nichts per se böses, oder?
Und wo wird denn benachteiligt und diskriminiert? Die Monate können doch schon jetzt aufgeteilt werden. Muss denn alles vom Staat geregelt werden? Oder vielleicht sogar besser überwacht damit die Vorgaben auch erfüllt werden?
"Überwachen und Strafen" ist so ein Klassiker der modernen geisteswissenschaftlichen Literatur. Ich habe ihn gelesen, Sie auch?
Benachteiligt und diskriminiert werden Eltern, von denen eine oder einer schon vor der Geburt (vielleicht aufgrund älterer Geschwister) nicht berufstätig war und die deswegen keine "Vätermonate" nehmen und 2 Monate kürzer diese Sozialliestung beziehen.
Das ist übrigens eine der wenigen Sozialleistungen, bei denen nicht das Haushaltseinkommen zur Berechnung herangezogen wird und die einzige, bei der Gutverdiener besser dastehen als Geringsverdiener.
Und das wollen Sie auch noch ausbauen??


"Das können wir alle eigentlich nicht wollen."

Da stimmen wir endlich mal überein. Ich fürchte aber, unsere Schlussfolgerungen sind unterschiedlich.


"Alle Expertinnen und Experten waren sich auch einig: Die Partnermonate beim Elterngeld müssen ausgebaut werden.
Auch das finden wir eigentlich alle richtig. Beide Vorschläge sind auch im Koalitionsvertrag so vorgesehen. Es liegen auch bereits Vorschläge vor, das Teilelterngeld mit nur geringen Kosten oder gar kostenneutral zu ermöglichen oder die Partnermonate auszuweiten."


Warum? Die Zeit kann doch schon jetzt aufgeteilt werden. Oder wollen Sie die Bezugsdauer verlängern? Das wiederum würde meinen vollen Beifall finden- 300 Euro Mindestauszahlung bis zum dritten Geburtstag? Wollen wir uns dadrauf einigen? Egal ob Mama oder Papa beim Kind sind? Egal ob einer die gesamte Zeit da ist für das Kind oder sie es aufteilen? Also nix mehr 2 Monate extra als Belohnung für familien, die einem bestimmten, von der POlitik gutgeheissenen, Lebensentwurf folgen?


"Doch die Regierung lässt sich lieber von der bayerischen Landespartei ein antiquiertes Familienbild diktieren und propagiert ein Betreuungsgeld, als tatsächlich bessere Rahmenbedingungen für ein Leben mit Kindern zu schaffen. Die Weiterentwicklung des Elterngeldes wäre die richtige Maßnahme zum richtigen Zeitpunkt, flankiert durch eine gute, verlässliche Kinderbetreuung."

Ich wohne nicht mal in Bayern und habe noch nie CDU gewählt.
Was das "antiquierte Familienbild" angeht: lassen Sie doch mal Raum für die immer wieder von Ihrer Partei geforderte Vielfalt. Wenn der Grossteil der Familien wirklich so super"modern" lebt und alle Arbeiten strikt aufgeteilt werden, dann stören die 3 oder 4 Rollenbilddinosaurierfamilien doch nciht weiter. Oder haben Sie Angst, dass sich bei näherer Betrachtung herausstellen könnte, dass das Familienbild gar nicht so antiquiert ist, sondern verbreitet?
Oder stört es sie gar, dasss eben dieses Familienbild verbreitet ist?

Ist es Sache des Staates, im Familienleben herumwerkeln? Und wenn ja, mit welches Ergebnis soll erzielt werden?


"Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Vollzug des Elterngelds hat die Bundesregierung leider nicht die Chance genutzt, Familienpolitik entlang der Bedürfnisse von Familien zu machen"

Nochmal: unterschiedliche Familien in unterschiedlichen Situationen haben unterschiedliche Bedürfnisse. Da funktioniert eine Einheutslösung wie "wirt bauen doch die Krippen aus" nicht.


"und das Elterngeld substanziell weiterzuentwickeln"

Nochmal: das Elterngeld bevorzugt Gutverdiener auf Kosten des geringverdienenden Steuerzahlers. Wollen Sie das wirklich ausbauen? Wo der Staat doch pleite ist?


"Neben richtigen verwaltungstechnischen Veränderungen, die zu einer Verkürzung der Bearbeitungszeiten und zu einem Abbau von Bürokratie führen sollen,"

Das Elterngeld ist ein bürokratisches Monster- Tigergatte musste seine Kindheit im Ausland belegen, was zu grösserem Suchen bei den Tigergrosseltern führte. Aber wird das durch den Krippenausbau oder Nichteinführung des Betreuungsgeldes besser?


"drohen durch die Gesetzesänderung jedoch auch Verschlechterungen für bestimmte Personengruppen. Ich spreche hier von Eltern und Kindern mit Behinderungen."

Das ist schlimm, wird aber kaum durch die Nichteinführung des Betreuungsgeldes gebessert.


"Statt sich wegen des Betreuungsgeldes in immer neuen Krisengesprächen aufzureiben, sollte sie endlich die richtigen Prioritäten in der Familienpolitik setzen"

Yupp, Dauerkrisengespräche einstellen und einfach mal umsetzen.

Die richtigen Prioritäten setzen.... klingt gut, aber was soll das sein? Wahrscheinlich der Krippenausbau. Warum ist das eine richtige Priorität? Richtige Prioritäten impliziert den Kontrast zu falschen Prioritäten. Das wäre hier dann wohl die Erziehng zu Hause durch die Eltern, idealerweise in altersgemischten Gruppen (also mit den Geschwistern und Nachbarskindern). Das ist warum noch mal falsch?



Wahlfreiheit
Wahlfreiheit gibt es nur wo man die Wahl hat und die Freiheit, sie auch zu treffen.

Kindererziehung ist in allererster Linie Sache der Eltern. Die Umgebung erzieht immer mit, klar, aber die erste Verantwortung dafür tragen die Eltern. Wie immer darf man auch dabei nicht von links rechts vom Pferd fallen- "ist doch meine Sache ob ich mein Kind mit der Bratpfanne schlage" läuft nicht, da kommt der Staat ins Spiel.

Eltern entscheiden, wie und wo ihre Kinder erzogen werden. Aber Entscheidungen trifft man nur selten irgendwo im idealen Raum, siondern sie spiegeln oft genug Notwendigkeiten wieder.

Grammatik scheint bei politischen Entscheidungsträgern -egal welchem politischem Zeltlager sie entlaufen sind- dieser Tage seit der Grundschule ausgefallen zu sein, denn sonst wäre der Unterschied zwischen den Modalverben "wollen" und "können" schon mal aufgefallen.

"Viele junge Frauen wollen und können heute aber nicht mehr abhängig sein vom Verdienst des Partners" sagte mir eine grüne Wahlkämpferin letztes Jahr. Kurz darauf erklärte sie sich zur "Selbstversorgerin" weil sie ihr Kind in die Krippe geben und arbeiten gehen wolle. Abhängigkeit von einem Mann könne sie sich ja so gar nicht vorstellen. Wie kann man "selbstversorgend" sein wenn man einen staatlich, also durch Steuergelder, bezuschussten Krippenplatz annimmt?

Vollzeit arbeiten wollen ist die eine Sache. Nicht mehr von einem Verdienst leben können eine völlig andere. Das ist Zwang. Das hat mit Wahlfreiheit nichts mehr zu tun. Mal auf den Punkt gebracht: kommt jemand auf den Gedanken, dem zum Tode Verurteilten zu sagen "das ist jetzt deine Entscheidung, du hast ja Wahlfreiheit" wenn man ihn fragt "Strick oder Spritze?".

Reden wir mal über das Problem statt über diese lächerlichen 100 Tacken: dadrüber, dass heute ein Verdienst meist nicht ausreicht. Das dann mit "Wahlfreiheit" oder "Emanzipation" oder"Wollen" oder "Teilhabe" zu bemänteln ist entweder naiv, realitätsfremd oder scheinheilig. Oder alles drei.

Die 100 Euro ersetzen keinen Verdienst. es geht nämlich nicht um die Frage "Krippe oder zu Hause" sondern um "Job oder Kindererziehung" für Eltern.

Wahlfreiheit ist mehr als Krippe und arbeiten gehen. Es heisst, wählen zu können. Wählen zu können, wie man leben will. Ob man stinknormal langweilig mit Mutter-Vater-Kind im Reihenhaus sitzen will, ob man in der WG wohnen will, ob man alleine wohnen will. Wie man die Erwerbsarbeit verteilt, ob einer, beide Eltern verdienen.

Vor lauter Patchworkfamilienhype (die in der Realität nicht immer so einfach flutschen wie das die schöne neue Familienpropaganda glauben lässt) vergessen wir, dass es auch andere Familien gibt: ohne 4 Kinder aus drei Scheidungen und die resultierende Beuteverwandtschaft.

Die immer wieder beschworene "Buntheit" ist mehr Migrationshintergrund und Wohnen in der Land-WG.
Da muss auch Platz sein für den Gartenzwerg, sonst wird das ganze nämlich genauso spiessig wie die Schrebergartenkolonie 1965. Linksspiessig halt.


In den öffentlichen Diskussionen um die Fragh geht es um Frauen (Männer können in der ach-so-durchemanzipierten Welt der Lufthoheitsbehaupter keine Reproduktionsarbeit leisten), Lebensentwürfe von Frauen, Frauen und Berufstätigkeit und Quoten für Frauen.
Um was es sehr selten geht sind Kinder. Klar, es geht um die frühkindliche Bildung. es geht um Bildung, nicht um Kinder.

Kleiner Tiger war um seinen ersten Geburtstag rum ein Mama-Kind. Er wich mir nicht von der Seite. ich konnte nicht mal alleine auf Toilette gehen. Das dauerte nicht ein paar Tage, nicht ein paar Wochen, sondern Monate. Ihn im Sportstudio in der Kinderbetreuung abgeben? Vergiss es! Ich ging ungesportelt wieder.
Er schlief bei uns im Schlafzimmer, alleine ging nicht. meist endete er die Nacht sogar im Bett. Er klammerte. ich hatet zwischendurch oft das gefühl, ich ersticke.
Zum Kinderarzt mit dem Problem. Kinderarzt fragte, ob er denn in die Krippe müsse. Nein, muss er nicht. Das war gut- so ein Kind mit Gewalt in die Krippe zu schicken sei das schlimmste was man tun könne. Eines Tages werde er loslassen, viele Kinder haben das.
Die verwandte Erzieherimn gefragt- kein problem, ganz normal, gut wenn man sich die Zeit nehmen kann.
Für Kleinen Tiger hätte die Krippe genau gegenüber stehen können mit freien Plätzen. Es wäre für ihn falsch gewesen.

Diese Kinder gibt es auch. Aber vor lauter frühkindlicher Bildung nehmen wir die frühkindliche Bindung nicht mehr wahr.


Oh schöne neue Welt...



Tigergattenzitat
"The Dark Queen of the Kitchen, reigning with Terror" nannte mich der Tigergatte heute morgen.
Ich forderte daraufhin, künftig mir "Your Culinary Highness" angesprochen zu werden.

Nö.



Bento-Bilder


Gurkensandwich, Erdbeeren und TOmaten-Mozzarella-Salat (Dressing kommt in kleinem Fläschlein dazu)


Gurkensandwich, Erdbeeren und Banane


stir-fry mit Reis, Tomaten und Champis, dazu Lachs. Erdbeeren und Tomaten-Mozzarella-Salat (Dressing kommt in kleinem Fläschlein dazu)



Zutrauen
Als ich 4 geworden war durfte ich alleine vom Kindergarten nach Hause gehen. Morgens kam oft mene Oma noch mit weil sie eh einkaufen ging, aber ich ging auch alleine.

Im letzten Kindergartenjahr sollten alle Kinder alleine gehen. Das war wichtig als Schulvorbereitung.

oh tempora, oh mores

Heute werden die Kids am besten ins Klassenzimmer gefahren.

Ich habe letztes Jahr den Grossen Tiger geschickt, die Geburtstageinladungen in der Nachbarschaft alleine verteilen. Keine grossen Strassen zu überqueren, nur Park oder Spielstrasse.

"Das traust du dich?"


Um es mal deutlich zu sagen: ja, ich habe Angst, dass irgendein Wahnsinniger ihn unterwegs entführt. Grosse Angst sogar. Aber ich sehe da noch eine andere Gefahr: vor lauter Angst gelähmt zu werden und ihm das Grosse Abenteuer Kindsein zu nehmen und ein Kind zu erziehen, was nie gelernt hat, alleine mit Schwierigkeiten fertig zu werden. Das sind alles noch moderate Schwierigkeiten, die auf dem Nachhauseweg vom Sport aufkommen können (Kette vom Fahrrad ab zB), aber es übt für die erste Bahnreise alleine, für den ersten Urlaub ohne uns (mir graut jetzt schon davor!).

Unsere Elterngeneration hatte das Zutrauen in uns, dass wir nachmittags alleine rumstromern konnten.

Ich bin auf dem Dorf grossgeworden, in einer anderen Zeit, als Menschen noch mehr Zeit hatten. Da war immer jemand, der durch's Fenster geschaut hat wenn wir was angestellt hatten und gar keine Probleme, dass unseren Eltern brühwarm zu erzählen.
Es gab einen grösseren Konsens über das, was geht und das, was nicht geht.

Das hat auch Nachteile; seinen eigenen Weg finden zu können ist ein grosses Privileg. Aber es ghat auch Nachteile: Lara-Sophie-Charlottes Mama war es gestern scheissegal als ich ihr sagte, dass ihr kleiner Engel sein Süssigkeitenpapier bei uns über den Zaun wirft.

War die Welt früher wirklich ungefährlicher?