Sonntag, 8. Juli 2012
Ad nauseam
Argumentum ad hitlerim geht immer. So auch hier:

"dass die Bahn AG ausgerechnet Veranstalter unterstützt, die die heutige Pränataldiagnostik als Euthanasie bezeichnen, und damit fälschlicherweise bewusst auf die nationalsozialistische Rassenhygiene anspielen" sagt lt Mädchenmannschaft Jörn Wunderlich, Familienpolitiker der Linken.

History Fail!
Im Nationalsozialismus wurden behinderte Menschen umgebracht, Stichwort T4.
Warum wurden sie umgebracht? Weil sie behindert waren.
Das hat mit Rasse nix zu tun, auch für gutrassig befundene Menschen hatten, sobald sie eine für erblich bedingt gehaltene Behinderung hatten, ein ernsthaftes Problem.
Damals hies es "Erbgesundheit", heute sagen wir Genetik dazu.

Die Diagnostik an sich ist nicht das Problem. Die Handlung "das Kind ist nicht innerhalb der festgesetzten genetischen Norm, also töten wir des" ist das Problem und hier kann man durchaus eine nahtlose Fortsetzung der Erbbiologie während des Nationalsozialismus fest stellen. Wobei es diese Tendenzen auch ausserhalb des NS und schon vor dem NS gegeben hat.
Das ist nicht der einzige Bereich, in dem Forschungsergebnisse, die im NS ideologierelevant waren, nach Ende des krieges weiter genutzt worden sind (Zigeunerkartei Eva Justins zB). Auch über den Gründungsvater von pro familia könnte man mal was schreiben. Aber lassen wird das für's erste mal.

Fest steht: lt geltender Gesetzeslage darf in der BRD ein Kind auch jenseits der 3-Monats-Frist abgetrieben werden wenn es als behindert gilt.
Das führt zu Auswüchsen, bei denen man nur das Grauen kriegen kann.

Meine Schwangerschaften sind nicht so ganz einfach, bei Kleinem Tiger hatte das Krankenhaus mit gutem Grund eine Drehtür. Und wenn man im Krankenhaus dem nächsten Weiskittel in die Arme kollabiert (Chefarzt der Onkologen), dann mögen die einen so gerne, dass sie einen gleich dabehalten.
So landete ich wegen eines völlig harmlosen niedrigen Blutdrucks auf der Gynäkologie, wo recht schnell feststand, das sich eigentlich gesund bin, das Wetter nur zu warm war und mein Blutzuckerwert Berg-und-Talbahn fuhr. Das musste man sich angucken und vor allen Dingen musste man nachschauen, ob dem Kind beim Fallen auch nichts passiert sei und ob die Plazenta noch fest sass. Also Ultraschall. Es war ein Freitag nachmittag und eher ruhig, ich sass in der Wartezone. Neben mir sass eine Frau mit Baby-Bauch. Sie hatte eine Tasche dabei, ich nicht. Und sie sagte, sie sei geplant da, kein Notfall, sie würde mich also gerne vorlassen. Sie war zur Abtreibung da, 22. Woche.
Zur gleichen Zeit wurde im gleichen Krankenhaus ein Kind, welches in der 21. Woche geboren worden war, durchgepäppelt.



Leben und leben lassen
Wenn man einen netten Spaziergang durch die Feldmark macht und zufällig dazukommt, wie jemand geschlagen wird (warum auch immer) wird man wahrscheinlich einschreiten.
Sei es durch Rufen, Nothilfe oder Anruf bei Team Grün-Weiss. Nur wenige Leute zucken die Schultern, sagen "ist doch nicht mein Problem" und gehen weiter.
Vielleicht hat man Angst oder ist ratlos, was man tun kann, aber das Einschreiten ist allgemein akzeptierte soziale Norm.
Es ist eine Konvention: wir haben uns gesellschaftlich geeinigt, das man niemanden verletzt. In der Situation setzen wir Prioritäten: die körperliche Unversehrtheit oder sogar das Leben über den Willen des Aggressors, auch wenn der bestimmt Gründe dafür hat, die er für gut hält. Diese Gründe sind uns in der Situation ersteinmal egal.

Oder?

Frau Berg finde ich in den meisten Fällen eher nichtssagend. Aber diese Woche konnte ich über ihre Argumentation nur noch den Kopf schütteln.
Ihre Wortwahl hatte wenig mit dem angeblich von ihr propagierten "Leben und leben lassen" zu tun.

Man kann dadrüber streiten, ob es angemessen ist, ein Kind mit zu einer Demonstration zu nehmen solange noch keine eigene politische Willensbildung da ist und wann diese Willensbildung einsetzt. Ich finde es auch immer ein wenig fragwürdig, wenn Kindergartenkinder politische Forderungen der Gattung "keine Kürzung bei den Kurzen" stellen oder Politiker sich mit knuffigem Baby auf dem Arm ablichten lassen.

Frau Berg stellt jedoch nicht die Frage nach der Instrumentalisierung von Kindern für politische Zwecke, sie zieht die Anwesenheit von Kindern auf einer Demonstration ins Lächerliche und instrumentalisiert diese Kinder damit eben auch.

Über "ich darf abtreiben wann ich will, misch dich nicht ein" kann man offensichtlich geteilter Meinung sein, auch wenn die Argumentation der einen Seite dabei sich durch gewisse Lücken auszeichnet.
Biologisch betrachtet gibt es nur 2 Kriterien, die nicht willkürlich festgelegt sind:
die Befruchtung als Beginn des Lebens und die Einnistung als Beginn der Schwangerschaft. Alles andere ist relativ willkürlich gesetzt.
Argumentationen wie "das ist kein Mensch, der hat noch kein Bewusstsein" blenden aus, dass man mit dem Argument auch Menschen im Koma oder mit schweren geistigen Behinderungen das Mensch-sein abspricht und zur Tötung freigibt.
"Hat noch kein Schmerzempfinden" läuft auch in's Leere: dann darf ich dem nächsten Querschnittgelähmten also in's Knie schiessen, tut ihm ja nicht weh.

Die andere Seite ist die der Frau, die eine Schwangerschaft nicht eingeplant hat.
Die Planbarkeit des eigenen Lebens ist ein Kriterium, das nicht hinterfragt wird. Aber ganz ehrlich: wann klappt denn mal irgendwas so wie geplant? Mit Unvorhergesehenem müssen wir alle zurechtkommen und die meisten Menschen schaffen das auch relativ elegant. Manchmal öffnet sich sogar eine neue Perspektive durch ein ungeplantes Ereignis.
Wenn in meinem Leben alles so gelaufen wäre wie geplant wäre ich jetzt Juristin und 'ne ziemlich langweilige alte Jungfer.
Ist ungeplant immer schlecht? Nein, aber wir empfinden es als bedrohlich.

Die Bahn gewährt also Grosskundenrabatt für eine Demo. Eine relativ kleine Demo, mich wundert wie schnell man Grossveranstaltung wird. Aber insgesamt scheint sich das eher um eine dieser Geschäftskalkulationen zu handeln, die man als Nichtinsider eh nicht verstehen muss. Wobei ich 99 Euro pro Ticket eher für eine Gelddruckmaschine halte, das geht auch deutlich günstiger.
Es kommt am Ende für die Bahn wahrscheinlich ein Plus heraus, und das ist alles, was die bahn interesiert. Die wollen nämlich Geld verdienen.


"Aber tut es doch einfach still, und lasst andere Menschen mit eurem Hobby in Ruhe. Lasst andere die Pille nehmen, abtreiben, nicht gebären, es ist doch nicht euer verdammtes Problem"
Ja, Frau Berg... was tun sie denn wenn jemand das Hobby hat, seine Mitmenschen mit dem Stock auf den Kopf zu hauen? Oder gern mit Panzern durch Häuser fährt? Ist das dann irgendwann mein Problem oder auch nicht- solange es weder mein Kopf noch mein Wohnzimmer ist?
Das Problem ist, dass es hier eben nicht um ein Hobby geht, sondern um die Frage, ob Menschen leben dürfen oder nicht. Ob es pro Tag 1000, 300 oder 5 Abtreibungen gibt, ist eigentlich relativ egal.


Hier kann jeder für fast alles demonstrieren, und wenn es die Freiheit für's Gummibärchen ist. Muss nicht für jeden Sinn machen was gefordert wird. Ich kam letztens an einer Montagsdemo vorbei und die aktuelle Forderung schien mir auch relativ sinnfrei, aber ich lasse sie weiterlaufen.

Was mir Sorgen macht ist die Polemik um diese relativ kleine Demo.

Ganz kurzes PS: ich bin nicht ockerfarben, leicht olive trifft es besser. Und das ist besser als blass-blasiert.