Katastrophenprägung
* Beispielsweise macht es einen Unterschied, ob jemand persönlich Krieg und Flucht erlebt, u.U. keinen sicheren Aufenthaltstitel und durch Behörden und vor allem weiße Deutsche Alltagsrassismus erlebt, der zusätzlich noch regelmässig von den Titelseiten deutscher Medien prankt, oder ob jemand anderes in friedlichen Verhältnissen ohne Todesangst aufgewachsen ist, einen dauerhaft sicheren Aufenthaltsstatus hat und somit keine Angst vor Abschiebung haben muss, etc. Genauso macht es auch einen Unterschied, ob jemand mit der deutschen Vergangenheit und den Großeltern als Tätergeneration bzw. mit dem europäischen Hintergrund der Ritualmordlegende aufgewachsen ist oder mit einem Hintergrund, in dem diese eben fehlen und dafür andere Aspekte im kollektiven Gedächtnis vorhanden sind (wie etwa den Kolonialismus, die Kreuzzüge, die teilweise bis heute die Stereotype von Europäer*innen als aggressiv, unsauber oder rohes Fleisch essend, etc. prägen, bzw. in diesem konkreten Fall eben die Nakba).

Generell möchte ich erst einmal anmerken, daß es gewagt ist, von "die sind ja alle weiß" auf Großeltern als Angehörige der Tätergeneration zu schliessen. Entgegen den "Stürmer"-Karikaturen erkennt man Juden nämlich nicht an vorstehender Unterlipee und Riesennase- die sehen aus wie wir, ein paar sind sogar blond&blauäugig.
Da könnten familiäre Erinnerungen an Shoa und das Überleben der Shoa oder auch das alltägliche Erlebenmüssen von Antisemitismus durchaus prägend. Also erstmal vorsichtig mit Äußerungen wie "denen fehlt die persönliche Betroffenheit".

Zweitens ist diese Nakba nun etwa so lange her wie die persönlich auch traumatisierende Vertreibung oder Flucht aus den ehemals deutschen Ostgebieten und mein Verständnis für Vertiebene der Dritten Generation ist eher mau. Erika Steinbach ist nicht meine Lieblingspolitikerin.

Aber drittens, und das wollte ich eigentlich nur loswerden: vielleicht ist man so als Migrationshintergrundmensch ja nicht von der europäisch-mittelalterlichen Ritualmordlegende geprägt, sondern von Verkaufsschlagern wie "Mein Kampf", den es durchaus auch in arabischer Übersetzung gibt. Oder dem Knüller "Die Protokolle der Weisen von Zion", die man auch in arabischer Übersetzung und vor allemn unantiquarisch bekommt.
Es gibt auch im arabischen Raum und dessen Traditionen antisemitische Legenden, die prägend wirken. Das ist blöd (vor allem, wenn Leute so einen Müll glauben!), aber hier ist es weniger Zeit für generisches Antikolonialismus-Rhababern, sondern Zeit, sich zu fragen, was Leute dazu bringt, nicht die von der Hamas programmatisch geforderte Zerstörung Israels anzusprechen. Denn diese Rhetorik der Hamas fällt ja nicht vom Olivenbaum, sondern steht auch auf diskursiver Tradition.

Denken. Bitte. Und dann den Idioten, die Kinder beim Tunnelbau krepieren lassen, klar die Meinung sagen.




zwetschgenkrampus am 29.Jul 14  |  Permalink
Danke für das Zitat aus "Linksunten"! Ich wurde einmal mehr an den Clemenceau zugeschriebenen Spruch erinnert, dass, wer mit 20 nicht Sozialist sei, kein Herz habe, wer dagegen mit 40 noch Sozialist sei, des Hirns entbehre. Mehr sag' ich zu dieser geradezu unterirdischen Grundhaltung nicht.

Nur zu einem Detail komme ich noch: Seit wann "prankt" der Alltagsrassismus? Wenn "prangen" gemeint sein sollte, dann hat "Linksunten" nur einen Teppfihler gemacht; für die "Pranke" (im Sinne von Extremität eines Raubtiers) gibt es dagegen m.W. kein Verb, ergo Denkfehler; und wenn mit dieser Formulierung auf den englischen "prank" angespielt werden sollte, dann ... siehe Clemenceau (angeblich).

Und was die deutschen Vertriebenenverbände angeht: Die haben in den letzten Jahren bei Gelegenheit durchaus auch Verstand und Manieren bewiesen - was man der Hamas nicht wirklich nachsagen kann. Dort ist man jetzt bereit, durch einen Ozean von palästinensischem Blut, Schweiss und Tränen zu waten, notfalls auch zu schwimmen, um wieder zurück ins politische Spiel zu kommen.

cassandra_mmviii am 29.Jul 14  |  Permalink
Zu diesem Zitat kann man viel zu viel sagen.

Die Hamas ist bereit, bis zum letzten Zivilisten (möglichst jung) zu kämpfen und wenn#s der Sache dient auch zu sterben.
Zumindest mein Eindruck.