Paprikasauce
Es muß 1992 oder 1993 gewesen sein. Ich und meine 3 üblichen Schulmensa-Kumpane guckten auf den Speiseplan und entdeckten "Serbische Bohnensuppe".
Kurzer Blick auf die Küchenbelegschaft: fehlte da eine Küchenfrau?
Durchzählen des Lehrpersonals.
Farbcheck bei den Bohnen: keine blauen Bohnen.

Waren da Serben oder Bosniaken oder Kroaten drin? fragten wir uns. Ich aß sicherheitshalber die vegetarische Variante, die etwa so vegetarisch war wie die "Hühnersuppe (veg)", die regelmäßig auf dem Speiseplan stand- da fehlte dann das Hühnerfleisch...


Was will ich damit sagen:
Jugoslawien zerlegte sich, das tägliche Massaker kam über die Abendnachrichten ins Wohnzimmer, ich begann mich in der Flüchtlingsarbeit bei Bürgerkriegsflüchtlingen zu engagieren und völlig unsensibel stand "Serbische Bohnensuppe" auf dem Plan. War den Speiseplanmachern klar, was sie da anstellten?

Die Paprikasaucen-Frage erinnert mich daran.

Zigeuner-Schnitzel heißt in Hannover "Schnitzel Balkan-Art". Also mit Massakerbeilage. Oder liegt es so schwer im Magen, daß man hinterher so miese Laune hat, daß man am liebsten losmassakern würde? Oder ist man hinterher so gestärkt, daß ein kleiner Bürgerkrieg grad recht kommt?

Bei "Balkan" assoziiere ich nicht "Paprikastückchen".


Alles nicht so einfach. Wir sollten vielleicht auf die Verwendung von ethnischen Bezeichnungen ganz verzichten.




wajakla am 09.Okt 13  |  Permalink
...ich frage mich seit geraumer Zeit, warum man nicht einfach Paprikaschnitzel sagt oder sind die Rechte dafür bei irgendeiner geheimen Gewürzmafia?

mark793 am 09.Okt 13  |  Permalink
Naja, ein Jägerschnitzel nennt man ja auch nicht Pilzschnitzel, ganz so profan möchte man es dann doch nicht ausdrücken.

Mein Vorschlag wäre Pußtaschnitzel (oder meinethalben auch Pusztaschnitzel) , denn mit der ungarischen Tiefebene verbindet man Paprika doch eher als mit dem Balkan.

cassandra_mmviii am 09.Okt 13  |  Permalink
Eher Pußta als Balkan. Bei Balkan denke ich definitiv nicht an "lecker Essen". Um den Balkan positiv zu assoziieren bin ich wohl zur falschen Zeit im prägenden Alter gewesen.

wajakla am 09.Okt 13  |  Permalink
Bei einem solchen Schnitzel denke ich eh nicht an "lecker Essen", diese Soße war mir schon immer ein Graus.

Ich bleibe jetzt bei Paprika, bei Pußta - wird das heute so geschrieben?? - muss ich immer an Marika Rökk denken, das kann auch keiner wollen...

mark793 am 09.Okt 13  |  Permalink
Ja,
da machen zehn Jahre Altersunterschied viel aus in der Wahrnehmung. Serbische Bohnensuppe stand schon vor der Ölkrise im Supermarktregal, die wurde auf unseren Zeltausflügen genauso gern vertilgt wie Ravioli aus der Dose. Wenn meinem Vater der Sinn danach stand, uns mal exotischer zum Essen auszuführen, ging es eher zum Jugo-Restaurant als zu den Griechen mit ihren ewigen Souvlaki-Spießen. Und das war zu einer Zeit, als Italiener, Griechen, Chinesen und andere in der Gastronomie noch bei weitem nicht so flächendeckend vertreten waren wie heute. Meine Eltern hätten dem kommunistischen Jugoslawien sicher keine Devisen ins Land getragen, aber diverse Bekannte sind da jedes Jahr runtergefahren, hatten da ein Boot, und anno 83 war ich nach dem Abi auch in der Kvarner Bucht und auf diversen Inseln, das war einer meiner schönsten Urlaube überhaupt.

cassandra_mmviii am 09.Okt 13  |  Permalink
Das sind wahrscheinlich diese 10 Jahre Unterschied und es ist nicht sonderlich fair, den Balkan auf das Dauermassaker zu reduzieren, daß in den 1990ern stattfand.
Andererseits hatte ich mal das Vergnügen, mich am Rande einer Konferenz mit einem Balkan-Experten zu unterhalten und dessen Kommentar war "fuck, it's the Balcan" auf die Frage, warum denn Gruppe A Gruppe B völkermordet.

Von daher, bei aller Rücksicht auf ethnische Minderheiten mit Porajmos-Geschichte und die deutsche Geschichte und überhaupt... BALKAN-SAUCE?

mark793 am 09.Okt 13  |  Permalink
Geht gar nicht, und das umso weniger, wenn man sich noch vor Augen hält, was mit dem Stichwort "Balkanisierung" so alles umschrieben wird (jetzt mal völlig losgelöst davon, dass man diesen Begriff unter pc-ness-Aspekten auch problematisieren könnte).

cassandra_mmviii am 09.Okt 13  |  Permalink
dem Fettnäpfchen ausgewichen, um das Butterfaß in der Mitte des Raumes zu treffen.

zwetschgenkrampus am 10.Okt 13  |  Permalink
Principiis obsta!
Cassandra: "...Wir sollten vielleicht auf die Verwendung von ethnischen Bezeichnungen ganz verzichten."

Wo zieht man dann die Grenzen? Sind Salzburger Nockerl und Schweizer Rösti nun geographische oder ethnische Bezeichnungen?

Während diese Frage diskutiert wird: Was darf ich zu trinken anbieten, Gösser oder Schwechater Bier? Oder ein Pilsner? Wie bitte? Ich soll aufhören, hier herumzublödeln? Was soll das heißen, Städter seien keine Ethnien? Meiner Erfahrung nach definieren sich garnicht so wenige Leute über ihren Wohnort - vor allem als Abgrenzung zum, üblicherweise nicht so geschätzten, Nachbarort.

cassandra_mmviii am 10.Okt 13  |  Permalink
Wir nummerieren einfach alles. Dann bietet man Getränk 2/3.16896 an. Wir schleppen dann zwar immer ein Liste mit uns rum, damit wir fix nachgucken können, was das bitte sei (Getränkeliste 2- alkoholische Getränke, Punkt 3. Biere), aber in Zeiten der Äpp ist das problemlos machbar.

Ich höre jetzt auch auf, rumzublödeln, nachher fühlt sich noch jemand angeregt...


Die Suche nach dem Serben in der Bohnensuppe brachte uns selbstverständlich ein Gespräch über den Ernst der Lage mit einem besorgten Lehrer ein. Wir lästerten leise weiter. Das Gespräch hatte es nicht wirklich besser gemacht :-)


Mein Hauptproblem mit der Rumziehendes Volk-Sauce ist, daß das Zeug (ich mag es auch nicht) zu einem Zeitpunkt auf den Markt gebracht wird, als Zigeuner (ja, ich benutze diesen Begriff weil er historisch korrekt ist) romantisiert wurden bis ins Dorthinaus, der Begriff positiv belegt war und deshalb zu Marketingzwecken genutzt wurde.
Zigeuner, so die Wahrnehmungm waren frei, konnrten tun was sie wollten, gehen wann sie wollten, keine Stechuhr im Nacken. "Lustig ist das Zigeunerleben" stammt etwa aus der gleichen Zeit.
Das war nett gemeint! Das begreift heute aber keiner mehr weil wir vor lauter Korrektheitsreflex nicht mehr nachdenken.

Ich wollte heute ein paar Berner rösten. Jetzt überlege ich mir das nochmal, vielleicht mache ich auch Frühstück aus Landwirten (Bratkartoffeln mit Eiern und Sauergurken).


"Meiner Erfahrung nach definieren sich garnicht so wenige Leute über ihren Wohnort - vor allem als Abgrenzung zum, üblicherweise nicht so geschätzten, Nachbarort."

Sie wollen gar nicht wissen, was ich über das Nachbarkaff meines Heimatdorfes denke :-)
Da hat mal der Bauer gucken wollen, ob die Kuh wirklich Blähungen hat, also sein Feuerzeug genommen und es dem Rindviech an den Hintern gehalten. Ja, sie hatte Blähungen und dann kam die Feurerwehr. Was will man über solche Leute auch denken???
Außerdem haben die nicht mal 'ne Kapelle, von einer gescheiten Kirche ganz zu schweigen. Und 'ne Fußballmannschaft haben die paar Hansels auch nicht zusammengekriegt... Loser!
Dahinziehen? Geht gar nicht.

Als wir dann umgezogen sind (gottlob nicht ins Nachbarkaff!), gab es da eine Jüdenstraße. Die hieß so weil sie im Mittelalter die Wohngasse der Juden war. es gab immer mal wieder ein paar aufrechte Korrekte, die die Jüdenstraße umbenennen wollten. Da reichte dann der dezente Hinweis, daß die letzten mit dieser absolut diskriminierungsfreien Idee die Nazis waren.

In der Gegend um Hannover ist Pferdebratwurst eine regionale Spezialität. Ross(brat)wurst heißt sie da und wird tatsächlich im Dorfgasthaus öfter angeboten.
Vor ein paar Jahren fiel das dem Zentralrat der Sinti und Roma auch auf, auf kulturellem Tabu könnten sie Gasthäuser, in denen Pferd gegessen wird, nicht betreten. Und nu? Rosswurst abschaffen?

Im Mittelmeer ersaufen Menschen. Und wir regen uns über Fertigsauce auf. Fällt jemandem was auf?

Vorurteile über Sinti und Roma entstehen nicht in der Grillsaucenfabrik. Da sind die äußerst realen und buchstäblich zum Himmel stinkenden Zustände in Duisburg-Rheinhausen ursächlicher.

So, ich gehe jetzt mal rausfinden, welche Ethnie ich heute zubereite.

sopravvivere am 11.Okt 13  |  Permalink
Natürlich gibt es wichtigere Dinge, über die man sich den Kopf zerbrechen kann. Aber weeeer hat sich denn über die ver-romantisierten und ver-ethnischten Bezeichnungen ausgelassen? ;)

Nein, ich glaube das Grundproblem liegt allgemein - nicht nur bei der Benennung von Speisen - darin: ich zitiere: "Das begreift heute aber keiner mehr weil wir [...] nicht mehr nachdenken."

cassandra_mmviii am 11.Okt 13  |  Permalink
"Natürlich gibt es wichtigere Dinge, über die man sich den Kopf zerbrechen kann. Aber weeeer hat sich denn über die ver-romantisierten und ver-ethnischten Bezeichnungen ausgelassen? ;)"

Ich :-) ich tat dioes vor dem Hintergrund, daß ich letztens mit einem Kumpel aus der Gegend von Duisburg geschnackt hatte und da die Luft brennt. Sich da einzubringen wäre vielleicht sinnvoller als Saucendebatten...