"People sleep peaceably in their beds at night only because rough men stand ready to do violence on their behalf."
-Orwell zugeschrieben, aber fraglich

Tiger plus Nachbarschaftsjunx kämpfen wieder um Narnia (oder gegen Orks, so klar ist mir das nicht). Alles zusammen brüllend gegen einen Gegner, den nur sie sehen können.

"Stürmt die Festuuung!" brüllte Kleiner Tiger und rannte vorweg in den Park.

Und wer war nicht dabei, sondern stand bedröppelt in der eigenen Auffahrt, bewacht und behütet? Pazifistenkind.

Ich winkte hinterher.

Nachbarin nutze die Gelegenheit, nochmal mit mir über Gewalt zu reden. Sie wollen das nicht. Und der Kindergarten hat ja auch ein Gewaltpräventionsprogramm. Ihr Kind soll erst gar nicht "Gewalt" lernen.
Ich frage sie, wie ihr Kind denn auf "Gewalt" reagieren soll wenn er sie sieht, und er wird sie sehen. Spätestens im "Dschungel des Schulhofes" wird er früher oder später Zeuge und mit realistischer Wahrscheinlichkeit sogar Opfer- spätestens wenn die üblichen Spezis geschnallt haben, daß er sich nicht wehrt.
Er soll woanders hingehen, einen Erwachsenen holen, auf keinen Fall aber zurückschlagen. Das muß ich doch verstehen, Gewalt löst doch nur noch mehr Gewalt aus.

Und wenn das so laut wird, da ist sie immer schon erschreckt. Das muß doch auf Kinder schlimm wirken.
Immer diese Gewalt...

Ich ließ sie reden. Nur die erwünschte Zustimmung bekam sie nicht.


Beim Drübernachdenken fällt mir auf, daß diese Grundsatzfriedlichnummer nur läuft, wenn jemand daneben steht und bereit ist, stellvertretend Gewalt auszuüben- also notfalls den Schulhofschläger zurückzuziehen. Ansonsten sehen wir auf dem Schulhof den Krankenwagen.
Diese moralische Überlegenheit kann man nur durchziehen wenn jemand anderes bereit ist, einen dabei zu schützen.

Nun rechne ich nicht damit, daß die BRD übermorgen von Belgien angegriffen wird oder Polen hier einmarschiert (wäre aber mal eine Abwechslung), aber trotzdem.

Die Tiger lernen, sich zu wehren.
Ich hoffe, daß sie eines Tages bereit sind, in der U-Bahn einzuschreiten oder wo auch immer nicht danebenzustehen und zuzuschauen, wie jemand zu Tode geprügelt wird. Hatten wir oft genug.
Ich hoffe, daß sie auch das Pazifistenkind schützen.




meermond am 05.Mai 14  |  Permalink
Das arme Kind.
Der Bub hat doch schon verloren, wenn er in der Schule auch nur seinen Namen sagen muss (sicherlich ist der auch noch total dämlich). Der arme Kerle kann einem leidtun - er wird zur Klassenkloppe erzogen.
In Bayern sagt man zu einem derart bedauernswerten Geschöpf "Lätschnbene".

cassandra_mmviii am 05.Mai 14  |  Permalink
Ich denke, daß mit Holzschwert über die Straße rennen nicht zwangsläufig in eine Karriere als Attila der Hunne münden muß. Auch wenn man imaginäre Orks niedermacht, muß man nicht arg- und harmlose Nachbarländer überfallen in späteren Lebensjahren.

Von anerzogener Hilfslosigkeit oder Unfähigkeit halte ich nix. Und auch wenn ich das Aggressionspotential des nachmittäglichen Kriegspielens für elterlich eingebildet und dramatisiert halte, so ist doch das Körperliche, durchaus auch Laute und Selbstbehauptende an diesen Spielen wichtig. Wer schon mal des Kumpels Ellenbogen im Spiel abbekommen hat, weiß "das tut weh, aber ist am Ende nicht wirklich schlimm" und der verliert die Angst davor. Der lernt auch, weiterzumachen, selbst wenn es wehtut.

Angst ist mit das schlimmste, was man seinen Kindern antun kann. Furcht zu haben vor allem, was passieren könnte... da bekomme ich dann mal Angst :-)

Eines Tages werden unsere Kinder den geschützten Bereich verlassen. Dafür müssen sie üben.
Auseinandersetzung ist ein Dauerthema der menschlichen Geschichte. Ich gehe nicht davon aus, daß sich das in den nächsten 10 Jahren ändert.

Ich habe eine brillianten Plan mit Super-Soakern für diesen Sommer :-)

mark793 am 05.Mai 14  |  Permalink
Ich hoffe, daß sie auch das Pazifistenkind schützen.

Das dürfte eine Daueraufgabe werden, wenn der arme Junge schon von klein auf zum Opferdasein erzogen wird. Wie naiv kann man sein zu glauben, es wäre immer eine erwachsene Autoritätsperson (oder die Exekutivgewalt der Obrigkeit) in Reichweite, wenns wirklich drauf ankommt?

Auf der anderen Seite muss ich (gerade mit Rückblick auf eigene unschöne Erlebnisse in Kindertagen) aber auch sagen, es gab immer wieder auch Situationen, in denen Gegenwehr gegen eine klare Übermacht auch nichts gebracht hätte außer das Risiko, eine noch größere Abreibung zu kriegen. Nichts ist schwieriger zu vermitteln als das Gespür für das richtige Verhalten in einer ganz spezifischen Situation. Das wird mir immer wieder vor Augen geführt, wenn ich mit Töchterlein über so Situationen und was daraus zu lernen ist spreche.

cassandra_mmviii am 05.Mai 14  |  Permalink
"Wie naiv kann man sein zu glauben, es wäre immer eine erwachsene Autoritätsperson (oder die Exekutivgewalt der Obrigkeit) in Reichweite, wenns wirklich drauf ankommt?"

Na, im Zweifelsfall stationieren wir eine Einheit BePos hinter jeder Mülltonne!


"in denen Gegenwehr gegen eine klare Übermacht auch nichts gebracht hätte außer das Risiko, eine noch größere Abreibung zu kriegen."
Auch das muß man lernen. Besser man lernt es auf dem Schulhof als mit weniger Polster später.

Sich planmäßig zurückzuziehen in sicherere Gefilde (zB unter das Lehrerzimmerfenster) und dabei keinen zurückzulassen.
"No man gets left behind" sozusagen.


Gerade auch mit Rückblick auf unschönste Situationen in Kindheit und besonders so um die 15 rum (lange Geschichte, ich trug ein orthopädisches Stützkorsett und ein paar Idioten kamen auf die Idee, mal zu gucken, wie es sich die Treppe runterfällt vom 4. Stock aus wenn man nur Arme&Beine bewegen kann) muß ich sagen: lieber kämpfend untergehen als auf Empathie von Trotteln hoffen.

Alles nicht einfach, aber wir erobern hier nicht die Unabhängigkeit Indiens im Badelaken, sondern spielen ein paar Nummern tiefer.

ueblich am 05.Mai 14  |  Permalink
Dazu muß ich was sagen, das Thema brennt in meinem (beruflichen) Umfeld, und vielleicht ist das ein Argument, das Ihnen zumindest die scheelen Blicke übern Gartenzaun erspart: Kämpfen ist im Leben unvermeidlich, und es kommt ganz entscheidend darauf an, fair zu kämpfen. (Nicht auf Wehrlose eindreschen, ein guter Verlierer sein, sich selbst einschätzen, es gut sein lassen können.)
Und das lernen Kinder eben beim Kämpfen. Reden bringt da nur sehr bedingt was.

cassandra_mmviii am 05.Mai 14  |  Permalink
Ich habe einmal im Kindergarten versucht, Regeln für Prügelein anzusprechen: aufhören wenn der andere aufgibt oder am Boden liegt, nicht nachtreten, nicht gegen Schwächere usw. Das gab ziemlich entsetzte Gesichter :-)
Das könne man pädagogisch nicht fördern. Punkt.

Im Elterngespräch ging es einmal dadrum, daß Kleiner Tiger sich nicht durchsetzen könne. Das sah ich anders, er war nur nicht allzu wortreich dabei. Das könne man so auch nicht fördern. Erziehung zur Gewaltlosigkeit!


Ich erziehe zur wehrhaften Gewaltlosigkeit. Denn am Ende muß man die Frage stellen, was mehr Gewalt ist: der Bullie, vor dem alle zittern und der am Ende nicht mal mehr zuschlagen muß oder wenn er kurz&handfest erklärt bekommt, was wohl zu viel war.

ueblich am 05.Mai 14  |  Permalink
Das kann man pädagogisch nicht fördern?! Wie sollen sie denn Fairness lernen, bevor's zu spät ist?
Es ist pädagogisch etwas kurzsichtig, Aggression und (körperliche) Gewalt gleichzusetzen. Aggression ist überlebenswichtig -- Durchsetzungsfähigkeit ist da nur ein Stichwort. Im Sport ist das akzeptiert. Zum Problem wird Aggression erst, wenn sie keine Regeln kennt.
Daß Kinder sich erproben, daß sie Rangfolgen auskämpfen und ausprobieren, wie weit sie gehen können, ist normal. (Nicht normal ist, wenn sie dabei sich oder anderen mit Absicht Schaden zufügen, Schuld immer nur bei anderen suchen oder versuchen, mit Gewalt Probleme zu lösen.)
Ojeoje.

cassandra_mmviii am 05.Mai 14  |  Permalink
""Daß Kinder sich erproben, daß sie Rangfolgen auskämpfen und ausprobieren, wie weit sie gehen können, ist normal."

Bei mir rennen Sie da offene Türen ein. Auseinandersetzung ist Teil des Lebens.

Der "Biß", auch mal was durchzuhalten, was grad blöd ist, ist wichtig.

Außerdem denke ich, daß 3-jährige noch nicht imstande sind, sich zusammenzusetzen und den Streit um das Sandförmchen auszudiskutieren. Das ist völlig unpädagogische Überforderung.

loco-just-loco am 05.Mai 14  |  Permalink
Na jaaa. Da ist auch noch was mit Gewaltmonopol des Staates, wonach es dem Bürger nur sehr begrenzt erlaubt ist, Gewalt zur Durchsetzung seiner Rechte (oder was er dafür hält) einzusetzen. Wenn der Nachbar zum x-ten Mal Besuch hat, der seinen blöden Motorroller so parkt, daß ich nicht um die Kurve komme, darf ich das dämliche Ding nicht einfach in die Büsche werfen (oder alternativ mit etwas Unkraut-Ex/Zucker wegsprengen), sondern muß ihn auffordern, es wegzutun, oder die Polizei holen.
Alles eine Frage der Verhältnismäßigkeit, und das "rechte Maß" wird in Deutschland anders gesehen als in Texas.

cassandra_mmviii am 05.Mai 14  |  Permalink
Das problem ist der Mangel an Polizisten hinter der Mülltonne- nie ist einer da wenn man ihn braucht, noch dazu nötig und schnell. Ist so wie mit Schulhofaufsichten, die sind auch immer woanders.

Solange alles easy läuft, ist Pazifistenkind sogar auf dem Schulhof sicher.

Im Zweifelsfall ist der Polizist der rough man ready to do violence. Nur in ganz wenigen Fällen sieht der Schurke sein übel tun ein, bereut und hört von alleine auf. Oft muß der Polizist mehr einsetzen als seinen guten Willen. Und unsichtbar steht ja hinter ihm die Drohung, dáß es ungemütlich werden könnte falls...