Der naturalistische Trugschluß
"Das ist in der Natur auch so" hört man oft. Das mag stimmen oder auch nicht, auf jeden Fall wird es zur Legitimierung herangezogen. Die dahinterstehende Logik geht davon aus, daß "die Natur" gut, richtig und weise sei, schon wisse, was sie tue und so weiter.
Mit was soll "die Natur" eigentlich denken? Da steht entweder der Gedanke einer Personifikation hinter oder aber doch wieder ein Schöpfergott, den man aber lieber nicht erwähnt.


Wenn Murxus behauptet, in "der Natur" gäbe es ja Abtreibungen, also seien sie was völlig natürliches und damit schon ok, dann begeht er 2 Fehler auf einmal:
erstens verwechselt er einen Abort mit einer Abortio. Klingt zwar ähnlich, aber der Abort ist im Gegensatz zur Abortio nicht absichtlich herbeigeführt.
Das Viech, daß sich mit einem Stock solange in der Vagina rumstochert bis da was passiert, wird noch gesucht.

Als zweiten Fehler fällt er auf den naturalistischen Trugschluß rein: nur weil etwas "in der Natur" passiert, muß es deswegen nicht richtig sein.

Zwei Beispiele:
Bonobo-Schimpansen haben Gruppensex. Nett für die Bonobos (hoffe ich!). Wenn man es aber zur Verpflichtung für Menschen machen wollte, würde ich schon protestieren.

Große Schimpansen jagen ihre Artgenossen. Während man beim Bonobo-Sex noch sagen kann "tut was ihr wollt, aber laßt mich doch bitte in Ruhe", würden europäische Gesellschaften beim Versuch, einen weiteren totgeprügelten Passanten durch eine Gruppe Menschen mit "artgemäßem verhalten, tun unsere biologischen Verwandten ja auch, ist völlig natürlich" eher mit Haftstrafe als mit Verständnis reagieren.

Bonobos haben auch homosexuellen Sex. Auch wie ich hoffe schön für die Bonobos.
Das wird häufig zitiert wenn es um die "Natürlichkeit" von Homosexualität geht.

Dabei ist der naturalistische Trugschluß nicht mal in sich schlüssig: warum soll Verhalten A (Bonobos haben Spaß) als Rechtfertigung/Erklärung für menschliches Verhalten dienen, während man bei Verhalten B (Schimpansen jagen andere Schimpansen)
sagt "das geht nicht", obwohl es doch offensichtlich vorkommt?
Was hindert uns dadran, die Vorzeichen umzukehren und zu sagen "Gruppenjagden auf Nicht -Gruppenmitglieder sind völlig natürlich, aber diese Bonobo-Nummer geht ja gar nicht"?
Erst mal nichts lehrreiches aus der "Natur", sondern "nur" unsere Wertung.

Das eine ist gesellschaftlich akzeptiert, das andere nicht (wie ich dazufügen möchte: und das ist auch gut so!), aber beides kommt vor. Wenn man also in der Annahme, die "Zivilisation" habe den Menschen "verdorben", er solle "gemäß seiner Natur" leben und deswegen schaut, was denn unsere nächsten biologischen Verwandten so treiben, dann muß man zur Kenntnis nehmen, daß da wohl nicht alles auf den 1:1 Menschen übertragbar ist. Man sortiert gemäß gesellschaftlicher Normen.

Die Idee, daß "die Zivilisation" den Menschen verdorben habe, stammt aus der Aufklärung. Rousseaus "edler Wilder" wurde zum Vorbild, der im Einklang mit seiner Natur existierte und deswegen glücklich war. Bescheiden, weitgehend bedürfnislos und in Harmonie mit seinen Mitmenschen lebte er.
Trotzdem hielten eine Reihe von Anhängern der Aufklärung Sklaven... menschliche Widersprüche halt.

Mein Rat: läßt Bonobos und Große Schimpansen tun was immer sie auch tun, aber führt sie nicht als Gründe für menschliches Verhalten an.
Laßt auch Karnickel, Enten, Ameisen und welches Viechzeug auch immer in Ruhe wenn ihr Gesellschaft konstruieren wollt.
Fallt nicht auf die "in der Natur ist das ja auch so" rein. Das ist ein Holzweg.




loco-just-loco am 13.Nov 12  |  Permalink
Schildkröten kriegen tausend Kinder, Mäuse ungefähr 10 alle drei Wochen, macht über hundertfünfzig im Jahr... und Empfängnisverhütung macht die Natur bestimmt nicht. *g*

cassandra_mmviii am 13.Nov 12  |  Permalink
Das Fehlgeburten vorkommen bei Mensch und Tier ist bekannt, ebenso das Tiere verhungern (wir hindern grad einen Igel dran, daß zu tun). Das passiert auch bei Menschen- leider.

Hungerkatastrophen wie in Somalia unter "das passiert in der Natur auch" abzukacken (und genau diesen Geschmack hat das) ist zynisch.

tama am 13.Nov 12  |  Permalink
Genauso zynisch, wie zu behaupten, der Ressourcenverbrauch und -umgang im Westen habe keinerlei Einfluss auf die "Dritte Welt" etc.

http://www.essen-global.de/filminfo_inhalt.html
(Nebenbei ein sehr sehenswerter Film!)

cassandra_mmviii am 13.Nov 12  |  Permalink
Habe ich das behauptet? Ich denke nicht

tama am 13.Nov 12  |  Permalink
http://cassie.blogger.de/stories/2145903/
(Ressourcen sind sehr variabel - genauso wie ethischer Intuitionismus. - Und meiner sagt mir: Es liegt schon ein bedeutender Unterschied zwischen Kindersterblichkeit und der billigenden Herbeiführung des Hungertodes durch den Westen.)

cassandra_mmviii am 13.Nov 12  |  Permalink
Ich habe keine Ahnung, was Sie da lesen wollen und es ist mir auch grad zu mühsam, mir zu überlegen "was denkt wohl Frau tama?". Wenn Sie etwas anmerken wollen, dann tun Sie das, wenn sie es nicht wollen, lassen Sie es.

Vielleicht meinten Sie das:
"Aber das Frühchen hier sterben zu lassen wird kaum zur Verbesserung der Lebensumstände in der Dritten Welt beitragen."

Hier jeden Brutkasten abzustellen wird nichts ändern.
Denken Sie wirklich, daß irgendjemand in der Dritten Welt davon was hätte?
Meine Einschätzung: wenn das Geld "über" wäre, würden wir schon irgendwas finden um es auszugeben, notfalls zahlen wir halt wieder Autokäufern Zuschüsse.

Außerdem muß die Zielsetzung meiner Meinung nach lauten: das Level an medizinischer Versorgung, was wir hier haben, steht jedem Menschen zu.

Was tun Sie denn um Ressourcen so weit einzusparen, daß im Sudan eine Krankenstation entsteht?

uwe sak am 13.Nov 12  |  Permalink
Ich gebe Dir in Deiner Grundaussaage Recht: Was in der Natur passiert ist nicht automatisch gut, nein die Natur kann auch sehr grausam sein. Es ist auch immer schwierig sich etwas in der Natur auszusuchen was gerade passt, und dieses Modell auf uns Menschen zu übertragen.
Das ändert aber nichts an meiner Meinung, dass nur die betroffende Frau das Recht hat zu entscheiden, ob sie abtreibt oder nicht. Ich würde es keiner Frau empfehlen, aber mir käme nie der Gedanke, eine Frau zum Gebären zwingen.
Was Homosexualität angeht: Ich bin 100% hetero, aber auch hier möchte ich anderen Menschen nichts aufzwingen.
Gruppensex: Nicht mein Ding, nein wirklich nicht. Ich kann sogar manchmal ein richtiger Sexmuffel sein.
Aber wenn allle solo sind und niemand belästigt wird, sollen die doch machen. was sie wollen.

cassandra_mmviii am 13.Nov 12  |  Permalink
Beim Sex ist es mit auch völlig egal, solange sie da niemanden mit reinziehen, der nicht mit reingezogen werden will. Ist einfach nicht mein Ding.

Bei Abtreibung wird es mein Ding, da dann ein weiterer Mensch betroffen ist, dessen Zustimmung zum eigenen Tod nicht vorrausgesetzt werden kann.
Wenn es um Leben oder eine ernste Gefährdung der Gesundheit der Mutter geht, muß man abwägen, ob es zur Abtreibung eine Alternative gibt. Meist gibt es die nämlich, auch wenn sie vielleicht teuer ist.

In diesem Land ist es explizit erlaubt, bei einer diagnostizierten Behinderung länger abzutreiben. Als Historikerin weiß ich, wen das superglücklich machen würde und sage "T4? Ohne mich!". was heute "genetisch krank" ist, hieß damals "erbkrank".

Das heißt ja nicht, daß sie zum Gebären gezwungen wird und noch viel weniger, daß sie das Kind auch großziehen muß.

uwe sak am 13.Nov 12  |  Permalink
Naja, da habe ich eine etwas andere Definition von dem Begriff "Mensch". Aber ich lasse das jetzt einfach mal so im Raum´stehen.

cassandra_mmviii am 13.Nov 12  |  Permalink
Da muß ich fragen: was soll das denn sonst sein, wenn nicht ein Mensch?

In Zeiten der Biowissenschaften ist die Definition relativ einfach: DNA. Er hat menschliche DNA und wie auch immer eine Genmutation aussehen mag, es bleibt als menschliche DNA identifizierbar.

Alle Definitionen über Erkenntnisfähigkeit, körperliche Eigenschaften und was man sonst noch immer denken mag, erfordern mehr Umwege von Ockhams Rasiermesser als die Genetik.

uwe sak am 13.Nov 12  |  Permalink
Es ist werdendes menschliches Leben, also hat es auch DNA. Ein Mensch muß sich seiner selbst bewußt sein. So sehe ich das zumindest. Ockhams Rasiermesser bedeutet, dass man immer die einfachste Erklärung suchen soll.
Also: Die Erklärung es gebe einen Gott, trägt nichts zur Aufklärung über die Welt bei, denn es stellt sich dann die Frage, woher kommt Gott?
Ich behaupt nicht, dass Gott nicht existiert, aber mit Ockhams Rasiermesser sollte man vorsichtig sein.

cassandra_mmviii am 13.Nov 12  |  Permalink
Ockhams Meser bedeutet, daß man die ERklärung mit den wenigsten Ausnahmen suchen soll.

Ist ein bewußtloser Mensch ein Mensch? Sicher. Ich gebe im Fall einer Vollnarkose nicht mein Mensch-sein ab.
Ist ein Mensch, der sich seiner selbst nie bewußt werden kann weil er schwer geistig behindert ist, ein Mensch? Ja, ist er.
Ist sich ein Kind unter zwei Jahren, daß sich noch als Teil seiner Eltern begreift, seiner selbst bewußt und wenn ja, definiert es sich als eigene Persönlichkeit? Nein, tut es nicht, aber deswegen ist es noch lange nicht kein Mensch.

Was ist überhaupt "sich seiner selbst bewußt sein"?

"Werdendes Leben"- das geht biologisch gesehen nicht. Entweder etwas lebt (Stoffwechsel, Zellteilung) oder es tut es nicht. Und da Zellteilung von Anfang an da ist und in diesen Zellen auch Stoffwechsel stattfindet sehe ich nicht, wie man da an der Biologie vorbeikommen will.

das hat mit Gott nur wenig zu tun und wenn man es konstruieren will, dann nur auf Umwegen. Das ist Biologie.

uwe sak am 14.Nov 12  |  Permalink
Ockhams Rasiermesser: Wo ist da der Unterschied zu unseren beiden Aussagen?
Ich habe von "werdendes menschliches Leben" geschrieben. Und da ist es schon ein Unterschied, ob es sich um eine befruchtete Eizelle handelt oder um ein bereits geborenes Kind.
OK. Ich gebe zu, dass meine Definition eines Menschen im Zusammenhang mit Bewußtsein problematisch ist, ja falsch ist. Deine Argumentation hat mich hier überzeugt.
Aber irgendwo muß man eine Grenze ziehen. Und Gott habe ich nur als Beispiel genannt.

cassandra_mmviii am 14.Nov 12  |  Permalink
Einfach ist manchmal halt zu einfach. Die wenigsten Ausnahmen von eier Regel ist manchmal eher kompliziert als einfach.

So groß ist der Unterschied zwischen befruchteter Eizelle und der Morula nicht- ein paar Tage liegen dazwischen. Wo und an welchen Tag will man die Grenze ziehen?

Zwischen Morula und Embryo liegen auch nur ein paar Tage. Die Übergänge sind fließend.
Wann ist der Embryo ein Fötus?
Und ab wann ist der Fötus ein Baby? Ab Geburt? Klingt einleuchtend, ist gesetzlich auch so definiert, aber was tun, wenn das Kind 3 Tage zu früh kommt? Dann wäre der Unterschied der Aufenthaltsort.
Also Mensch-sein erst ab errechnetem Geburtstermin? oder 2 Wochen vorher, wenn man "Termingeburt" ist?

das finde ich alles äußerst unüberzeugend. da eine "Grenze" zu ziehen... wann will man das tun?

Biologisch kann man nur von der Befruchtung als Beginn des Lebens sprechen und von der Einnistung als Beginn der Schwangerschaft. Leben ist also schon vor der Schwangerschaft da.
das sind die beiden Punkte, an denen man sagen kann "ab hier ist was anders als vorher".

uwe sak am 14.Nov 12  |  Permalink
Nun ja, wenn das Baby 2 Wochen zu früh kommt, dann ist es ja trotzdem geboren. Aber ich will mich jetzt nicht so sehr auf die Geburt festlegen, ab wann menschliches Leben beginnt. Eine genaue Grenzziehung ist hier schwierig. Aber ich bleibe da dabei, eine befruchtete Eizelle ist noch kein Mensch.
Aber es ging ja um das Recht auf Abtreibung: Und da bin ich weiterhin der Meinung, dass muss die betroffende Frau entscheiden. Auch wenn ich es keiner Frau raten würde.
Ansonsten kann man ja uch folgende Frage stellen: Ist Leben ein absolutes Grundrecht, muß man dann mit allen natürlichen und technischen Mittel eine Schwangerschaft herbei führen?
Ich sage nein. Wäre ich abgetrieben worden, so kann ich an den Gedanken nichts Schlimmes finden. Wenn mich allerdings jetzt jemand killen wollte, würde ich mich selbstverständlich wehren.