Mittwoch, 7. November 2012
Momente, die mich (fast) zum Heulen bringen
Es war kurz nach der Geburt des Grossen Tigers. Ich war noch wackelig auf den Beinen weil ich Retro-Nudel es geschafft hatte, beinahe zu verbluten und musste mich am Kinderwagen festhalten.

Tigergatte hatte mich mit zur Post geschleppt damit ich überhaupt mal wieder rauskam. Aber die Luft drinnen war so mies, dass ich draussen wartete.

Sah ich aus wie das Bild der glücklichen jungen Mutter? Nein. Blass, man sah mir den Blutverlust an der Nasenspitze an. Dazu tat die Kaiserschnitt-Narbe weh. Und ich schwamm im Selbstmitleid deswegen. Dazu kam die wahrscheinlich tiefste und längste Glaubenskrise, die ich jemals erleben musste. Mein Kontakt zu Gott war tot, beten war reiner Lippendienst und Pflichterfüllung und irgendwann gab ich auch das auf. Wozu? Gott hörte ja eh nicht zu, sonst wäre all' das nicht passiert.

Ich stand also da. Eine Frau kam direkt auf mich zu. Man sah, dass sie irgendeine kleinere geistige Behinderung hatte. Sie luckte in den Kinderwagen und lächelte mich an. "Danke, dass sie ihn nicht umgebracht haben" und gab mir ein kleiens Bild von einem ungeborenen Kind, segnete den Tiger und mich und ging weiter.

Ich heulte mal wieder los.

Ich stand immer noch mit dem Bild in der Hand da als Tigergatte rauskam. Was denn los sei?
Wir sahen uns beide um, aber die Frau mit dem auffälligen bunten Rock, der praktische Rundfrisur und den braunen Schnürschuhen war weg.


Habe ich einen Engel gesehen? Vielleicht, aber Gott hat auch irdische Bodentruppen, die Er schickt wenn es brennt und die dann ganz kurz und nur für einen Moment zu einem Boten Gottes werden.

Ich habe den Aufkleber noch. Das allein zeigt, wie viel mir dieser kleine Moment bedeutet hat. 2 Umzüge und 2 Kinder später liegt er immer noch in der Schreibtischschubalde, um mich manchmal dran zu erinnern, dass Gott zuhört, auch wenn wir grad die Antwort nicht hören, was wirklich wichtig ist (Tigerkind wohlauf und Tigermamas bekommt man so schnell nicht klein weil Unkraut nun mal nicht vergeht) und das manchmal das richtige Wort aus unverhoffter Richtung kommt.

Warum denke ich da heute dran? Weil mich eine Frau mit Trisomie über das Baby in meinem Bauch ausgequetscht hat. Wie alt, wie groß, Junge oder Mädchen, wie schwer, kann man das schon fühlen? Leider hat der Krümel grad nicht gezappelt. Freue ich mich? Aber klar!



Nochmal Biologie
"Meine Weltanschauung bezüglich 'Menschsein'?
Es beginnt mit der Autarkie - sprich in ihrem Fall hätte das medizinische Personal nicht wegen unterlassener Hilfeleistung verklagt werden können, wenn sie entschieden hätten, das der Fötus nicht lebensfähig ist.
Und es endet ab dem längeren Aussetzen der höheren Hirnfunktionen - bei einem vegetativen Komapatienten die Maschinen auszuschalten ist keine Tötung."

Sprach der Herr Murxus. Und sagte dabei ziemlichen Murx.

Der Mensch ist auch nach seinem Tod noch Mensch. Das ist keine Theologie, sondern Biologie. Wie sonst könnten Skelette als Menschen identifiziert werden? Das sind dann tote Menschen (im Fall von Skeletten besteht da wirklich kein Zweifel, es sei denn man ist im Spätprogramm an Halloween), aber immer noch Menschen.
Zweitens ist ein Mensch ab Geburt kein Fötus mehr, denn ein Fötus ist nun mal definiert ein ungeborener Mensch, dessen Organe ausgeprägt sind, der also "nur" noch wachsen und reifen muß.

Selbstverständlich ist es Tötung eines Menschen, wenn "die Maschinen" ausgeschaltet werden. Es ist wahrscheinlich kein Mord, da die niederen Beweggründe fehlen (so sie denn fehlen), aber immer noch Tötung.
Wenn man sagt "das ist zu teuer" ist man auch ganz fix in der Dunkelgrauzone zu Mord. Habsucht ist ein niederer Beweggrund.
Welche "Maschinen" eigentlich? Den Motor, der das Bett absenkt? Den Zähler am Tropf, der Wasser und Nahrung reguliert? Nahrung und Flüsssigkeit sind menschliche Grundbedürfnisse, die hat jeder. "Maschine" ist so herrlich uneindeutig.

Und jetzt kommen wir zu dem, weshalb ich mir das nochmal durch den Kopf habe gehen lassen:
Frühchen.
Großer Tiger war ein Frühchen. Dabei kommen einem sofort Bilder von Winzkindern in Brutkästen in den Kopf und ganz, ganz vielen Schläuchen. Und dabei irrt man.
Nix da, der Junge lag nicht mal im Wärmebett. Jedes Kind, daß vor der 38. Woche geboren wird, gilt als Frühchen. Mit 36 Wochen und 5 Tagen war er ein Frühchen, wenn der Junge es nicht so eilig gehabt hätte, wäre er ein Fötus gewesen. Den Unterschied macht also, wo das Kind ist. Und sobald man sich das klar gemacht hat, merkt man, wie sinnfrei eine Definition wie "der Mensch fängt mit der Geburt an" ist.
Ich lag, ich erzählte es schon, mit einem nicht-gynäkologischen Nichtnotfall (aber man wollte halt sicher gehen und Bettenbelegung kommt immer gut) auf der Schwangerenstation. Weil wenig Zeit tagsüber war, wollte man noch ein Ultraschall machen am Abend (ich nenn' das mitten in der Nacht, halb 10 war's.). Ich saß also da und wartete, aber da Baby-Kino immer toll ist, wartete ich halt. Neben mir saß eine Frau mit erkennbarem Baby-Bauch und Koffer. Sie war also geplant da und nicht wie ich ungeplant. Sie fing an zu plaudern gegen die Langeweile, ich fragte irgendwann, wie weit sie denn sei.
22. Woche.
Schön! Und weshalb hier?
Wegen einer Abtreibung. Das Kind habe eventuell nur eine Niere.
Ich war geschockt. Mit einer Niere kann man leben. Und das sagte ich auch. Ich bat sie, das bitte nicht zu tun.

Noch geschockter war ich als ich erfuhr, daß zur gleichen Zeit und im gleichen Krankenhaus ein Kind in der 21. Woche geboren worden ist. Das Kind hat auch die Frühchen-Zeit überlebt (wofür ich Gott von Herzen danke), das andere Kind starb noch in der Woche.
Was machte den Unterschied?
Der Aufenthaltsort. Niemand käme (hoffe ich zumindest!) auf die Idee, jemanden, bei dem postnatal ein Nierenschaden diagnostiziert wird, zu töten.

Als mir die Krankenschwester bei der Entlassung "bis in ein paar Wochen Monaten" wünschte, mußte ich ihr einfach sagen, daß ich lieber in ein anderes Krankenhaus gehen möchte weil ich Abtreibungen nicht unterstützen will. Sie sagte, daß würden sie hier nicht werten. Ich schon. Und Spätabtreibungen gehen gar nicht. Und schon gar nicht wegen Krankheit.
Ich mache doch nicht da weiter, wo T4 aufgehört hat!

Wie ich diese ohne Frage teure Frühchenmedizin rechtfertige? Mit der Gegenfrage, wie viel ein menschliches Leben wert ist.
"Ja, aber in Afrika...". Ja, stimmt. Aber muß der Schluß nicht sein, auch Menschen in den hintersten Ecken dieser Welt das selbe zu ermöglichen wie uns hier statt "alles zu teuer, denkenSe mal an Afrika, da geht es auch ohne" zu sagen.


Ob man Mensch-sein an der Möglichkeit, jemanden zu verklagen, festmachen will... das ist keine Frage der Biologie mehr, sondern der Gesetze.
Anderswo sind Gesetze anders. In mehreren Bundesstaaten der USA wird ein Angriff auf eine sichtbar Schwangere als ein Angriff auf 2 Personen gewertet, eine davon hilflos, was strafverschärfend wirkt.
Und was ist nun wahr? Oder hängt Wahrheit am Aufenthaltort? Dann wäre sie relativ.

Gesetze kann man ändern; alles, was man dazu braucht, sind zwischen 51% bzw 2/3 der Bundestagsabgeordneten und ein Abnicken ind er Länderkammer.


Wer einmal gesehen hat, wie früh ein Kind als Kind erkennbar ist, der redet nicht mehr von "Zellhaufen". Dazu muß man(n) nicht mal selbst schwanger werden, Lektüre eines guten Bio-Buches reicht.


Ich habe übrigens einen Termin zur Organdiagnostik. Dann sehen wir, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird. Das ist das einzige, was mich akut interessiert dadran.
Natürlich wäre ein Herzfehler, ein Nierenschaden oder was auch immer schlimm, aber er ändert nicht mehr als die Wahl des Krankenhauses.

19+4. 20. Woche. Noch ein paar Wochen, und das Kind ist sicher.