Mittwoch, 12. Dezember 2012
Verzicht?
Ich ward letztens gefragt, ob ich denn wirklich noch ein paar Jahre "verzichten" will, ich hätte doch so einen schönen Beruf und so viel Mühe und Zeit da reingesteckt. Stimmt, habe ich.
Aber wenn ich mir ansehe, wie Tigergatte zur Zeit auf dem Zahnfleisch geht...
7:45 Aufbruch hier, im Büro so gegen 8:30.
Kurz vor 19 Uhr dann der Anruf "bin jetzt in der Straßenbahn, kannst du für was heißes zu trinken sorgen?"
Dann noch fix was backen, Weihnachtsfeier und ich hatte leider keine Ahnung, was er angekündigt hatte.

Das geht jetzt seit ein paar Monate so und wir haben uns schon vor Nr4 gefragt, ob wir es wuppen, wenn ich etwa den gleichen Job hätte. Die Antwort war nein, tun wir nicht. Täten wir auch nicht mit nur einem Kind.

Ist der Verzicht auf 12-Stunden-plus-Arbeitstage wirklich so ein Opfer? Tigergatte würde grad liebend gern mit mir tauschen.

Urlaub wird nicht nach Bedarf genommen, sondern so, wie das Projekt ihn hergibt. Arbeiten während des Urlaubes ist selbstverständlich, als sein Chef auf die Idee kam, er müsse jetzt den Resturlaub nehmen, aber passen tut das grad gar nicht, also könne er das Paper ja im Urlaub weiterschreiben, dann muß er nur noch zu den Meetings kommen und das wäre doch schon mal was. Sagte Tigergatte, daß wäre tatsächlich was, nämlich nicht drin. Die Vorstellung, im Urlaub jeden Morgen am Rechner zu sitzen, war dann zu viel. Also ward der Urlaub verschoben (und als er dann tatsächlich genommen wurde, waren die Meetings natürlich auch drin, sind sie auch im Jahresendurlaub aller Vorraussicht nach)
Wie man unter den Bedingungen noch den zweiten Elternteil losschicken will, möglichst noch in einer anderen Stadt... ich weiß es nicht.

Was fehlt mir denn am meisten? Das Lästern mit den Jungkollegen während der Konferenzkaffeepausen, das Drumherum von Konferenzen insgesamt (wegfahren, Hotel übernachten, immer noch einen halben Tag frei einplanen, sich die Stadt angucken), der Kick des "Jagens" im Archiv, eine Tür, die ich hinter mir zumachen kann, vorne stehen und stolz sein auf das, was ich zusammengetragen habe.
Was fehlt mir nicht? 12plus-Arbeitstage, Streß mit den lieben Kollegen.

Insgesamt hält sich das Leidenslevel in engen Grenzen bei mir. Sieht bei anderen anders aus, aber das nennt man dann Individualität.



Montag, 26. November 2012
"Bergpredigt oder 10 Gebote oder Johannesoffenbarung"
Referat über Strafe im Mittelalter. Thema: Blasphemie.

Einleitungssatz: Blasphemie war strafbar, das steht so in der Bibel.
Rückfrage durch eine hier nicht näher genannte grundboshafte Bloggerin: "Wo steht denn das?"
"Bergpredigt"
"10 Gebote"
"In der Offenbarung des Johannes"
3 Referenten, drei Meinungen. Der Prof fragte "wer bietet mehr?" und wartete auf das Ende der Beratungen der Referentengruppe.
Mittlerweile boten ein paar Seminarsteilnehmer ihre Expertise an- Genesis, im Neuen Testament, im Alten Testament und ist denn das jetzt wichtig?
Dozent: Ja, ist wichtig, denn dort steht wahrscheinlich auch, wie es bestraft werden sollte
Ich sage, daß ich mir nicht so sicher bin, deswegen frage ich ja, tippe aber erst mal auf Levitikus oder Deuterononium.
Dozent: Da würde ich auch mal nachschlagen
Immer noch Rate-mal-ohne-Rosenthal auf den Referentenplätzen. Man einigt sich auf das Glaubensbekenntnis.
Dozent: Das steht aber nicht in der Bibel, das wurde auf dem Konzil von Nicäa formuliert, also später.

Dozent: sagen Sie mal, hat denn keiner von Ihnen die Bibel gelesen? Wie wollen Sie denn ohne Bibelkenntnis Geschichte studieren und das Mittelalter begreifen?

Noch ein Grund for Religionsunterricht, der mehr als weichgespülertes "Piep-Piep-Piep. wir haben uns alle lieb" ist.



"Rom ist die wichtigste Stadt der Christenheit, denn dort liegt Jesus Christus begraben"
las vor vielen, vielen Jahren die Referentin von ihrem Blatt ab.

Und im Raum herrschte diese Stille, die man greifen kann. Die Professorin guckte geradeaus, die Hälfte der Teilnehmer waren Studenten der evangelischen Theologie und in deren Augen sah man einen kleinen Luther mit Hammer, Nagel und Thesenpapier ausziehen.
Ich schrieb meiner Nachbarin ein "WTF?" auf den Tisch, gefolgt von "wenn man ein Grab hätte, wäre Jesus im Verlauf des Mittelalters in 12345678987654321 Einzelreliquien zerlegt worden", was sie zu einem Kicheranfall brachte. Normalerweise hätte das einen strafenden Blick von der Prof zur Folge gehabt, aber die versuchte immer noch, einen Anfang zu finden, während die Referentin weiter über die Bedeutung Roms als Grabesort Jesu referierte.
Die Dozentin fing sich. "Die Kreuzigung fand in Jerusalem statt".
Referentin gab sich unbeirrt. Erstens sitzt der Papst in Rom, zweitens ist da ja auch das Grab Petri, drittens haben die Römer Jesus gekreuzigt und viertens wird der Kreuzweg im Kollosseum gebetet.
Die Pro holte weiter aus. Der Papst ist der Nachfolger Petri als Bischof von Rom. Die Referentin bestätigte dies, klarer Fall.
Aber Jesus ist in Jerusalem gekreuzigt worden.
Referentin starrte auf ihre Unterlagen. Und warum ist dann das Grab in Rom?
Dozentin fragte, wessen Grab. Na, das von Jesus. "Es gibt keine Grabstätte Jesu. In Jerusalem gibt es mehrere später erbaute Kirchen, die über dem Grab stehen sollen, aber nicht in Rom".
Wieso es denn kein Grab gäbe?
Professorin erklärte, daß Christen glauben, Jesus sei von den Toten auserstanden. Ungläubiges Gesicht der Studentin "Aber das gibt es doch gar nicht!"

Das ist der Grund, weshalb man Religionsunterricht an Schulen erteilen sollte.



Donnerstag, 15. November 2012
Antragspoesie
ist eine ganz eigene literarische Gattung. 4 Stunden Formulierungen gedreht bis es paßte.



Samstag, 27. Oktober 2012
Alt
Es sind nicht die dezenten weißen Fäden auf dem Kopf, aber wenn man Sätze wie "Die Jugend von heute..." denkt oder gar sagt und das mehrmals am Tag, dann merkt man, daß man definitiv kein Küken mehr ist.

Tigergatte fragte sich lautstark, ob er wirklich 200 Seiten Lektüre bis nächste Woche verlangen kann. Die Studis sind heute ja so überarbeitet... ich erinnere ihn, daß wir auch dauerüberarbeitet waren oder uns zumindest so vorkamen.
Seine Studis hätten sich beschwert, sie hätten nie Feierabend. Ich frag' ihn, ob er damals auf die Idee gekommen wäre, sich beim Dozenten über mangelnde Freizeit zu beschweren. Nein, wäre er nicht.
Ich bekam vom Dozenten mal einen Text auf Italienisch. Ich: "Ich spreche leider kein Italienisch". Dozent: "Dann lernen Sie es!". Ich: "Bis nächste Woche?" Dozent: "Das war ein Scherz, Sie sprechen doch Französisch und Latein, damit kommen Sie schon durch".
Der Mann ging auch davon aus, daß wir einsprachige Lateinwörterbücher benutzten, die sind nämlich besser als die zweisprachigen. Und keiner hätte es gewagt, ihm seine Illusion zu rauben.
Und wissen Sie was? Er hatte recht! Nach 2 Semetern Qual flutschte das auf einmal wie von alleine. Warum nur?

Tigergatte versuchte einem Studi zu erklären, daß man das biologische Geschlecht am Skelett erkennen könne.
Nö, kann man nicht, das ist doch alles Definitionsfrage. Irgendwann endete der Studi mit "Ich glaub' Ihnen das jetzt mal". Tigerdozent: "Das brauchen Sie mir nicht glauben, das ist einfach so".

Merkfähigkeit geht gegen Null, am Semesterende vergißt man den Stoff, ist ja vorbei. Mal was freiwillig lesen ist nicht.

"Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben,
sie ist böse, gottlos und faul,
sie wird niemals so sein, wie die Jugend vorher,
und es wird ihr niemals gelingen,
unsere Kultur zu erhalten."

beschwerte sich ein unbekannter Babylonier und wahrscheinlich hatte er recht.

Tigergatte hatte am Ende des Abends übrigens seine Skrupel überwunden. 200 Seiten Pflichtlektüre, Leseempfehlung noch mehr. Wir haben damals auch fix gelesen, Interesse am Thema kann man bei einem Studium wohl vorraussetzen und das Buch ist zwar ein Fachbuch, aber liest sich so runter, sogar für Fachfremde wie mich (ich habe es BEI der Geburt des letzten Tigers gelesen).
Wir mußten damals noch selbst in die Bibliothek gehen und das Buch suchen statt drauf zu warten, daß der Dozent alles online stellt und man nur noch am Streichelcomputer lesen muß. Manchmal mußten wir gar ein Buch kaufen, was heute anscheinend völlig undenkbar ist.
Überhaupt Streichelcomputer&Laptops: würden Sie als Dozent sich auch verarscht vorkommen, wenn ihre Studis während des Seminars die Antwort in der Wikipedia nachlesen? Ich käme mir schon extrem vergackeiert vor, wenn die Jungs&Mädels ihren Bildschirm statt mich oder einander angucken. Sie machen sich aber ihre Notizen gleich in den Computer. Und haben nebenbei Facebook laufen, das läuft ja eh immer (das war die begründung...)

Am Ende des Gejammers über die Jugend von heute stand, daß man es kaum besser macht, wenn man die Absprüche senkt und das man bei zu starken Schonkurs den Studis etwas wertvolleres als Freizeit stiehlt: das Gefühl, jung und bissig zu sein und was zu leisten, ihr Recht auf eine solide Ausbildung und Lernen und einen völlig übermüdeten Lebensabschnitt, der einer der schönsten, intensivsten und lebendigsten des Lebens sein wird. Ihr Recht drauf, mit 2 Stunden Schlaf und ungeklärten Mengen Rotwein im Blut zur Klausur aufzutauchen, zu bestehen und zu denken "Wow, ich kann ja was!". Das Recht später einmal, wenn man WIRKLICH was schaffen muß, zurückzudenken und zu wissen "ey, ich hab damals Latein gepackt, ich pack das auch".

Das ist Studium, Kinder. Gewöhnt euch dran. Wenn ihr das nicht wollt: macht eine Ausbildung bei der Sparkasse Kleintüpfeldingen mit garantiertem Feierabend und Wochenende, geht abends nach Hause, eßt euren Eintopf und seit grau und alt noch bevor ihr 25 seit. Noch schlimmer als "Die Jugend von heute..." zu denken ist es, niemals jung gewesen zui sein.



Mittwoch, 11. Juli 2012
Bones
520 Menschen werden heutebestattet. Sie starben in Srebrenica.

Die Arbeit, die Anthropologen leisten, um den Toten einen Namen und den Angehörigen einen Ort für ihre Trauer zu geben, wird viel zu selten gewürdigt.

Die Frage nach dem Täter und dem Tathergang... mit der schlägt sich der Internationale Strafgerichtshof herum.

Ruht in Frieden!



Dienstag, 5. Juni 2012
Bitte zivil bleiben
Drittmittelprojekte sind das Zauberwort an Unis. Aber alles nicht so einfach:

Uwar sollen Unis, also auch die Uni Bremen, bitte alles Geld selber auftreiben, aber andererseits bitte moralisch einwandfrei.

Die Uni Bremen ist noch mehr Freilandversuch als es Göttingen je war. Faschismus fängt hier schon beim Fleischessen an.
Kann man diese Gewächshausmentalität beim zunehmenden Druck, Drittmittel auszutreiben, aufrechterhalten? Und wenn ja, ist das sinnvoll?

In Deutschland bekommt man nur Geld für Forschung wenn man damit entweder schiessen, Krebs heilen oder noch schneller Auto fahren kann, alles andere hat schlechte Chancen.
Für's Krebs-heilen könnten Tierversuche nötig sein.
Schiessen scheidet für die Uni Bremen aus.
Bleibt das Forschen für's Autofahren. Mal sehen wann das auch ausscheidet wg Klima und so.



Mittwoch, 30. Mai 2012
History girl
Aus der Reihe "Historische Irrtümer und Fehlannahmen, die einfach nicht aus den Köpfen zu kriegen sind" heute "Die Fünfprozenthürde ist eine Lehre aus Weimar".
Das "finstere Mittelalter" hatten wir ja bereits.

Die Fünfprozenthürde soll verhindern, dass der Bundestag voller Kleinstparteien sitzt. Warum? Weil, so der mantraartige Lehrsatz, der Weimarer Parlament durch Kleinstparteien so zersplittert war, dass dann Hitler an die Macht kam.
Dieser Satz ist falsch, und er wird auch durch's dauernde Wieerholen nicht wichtig.

Prozentverteilung der Wahlen vom November 1932:

NSDAP: 33,1 (-4,2)
SPD: 20,4 (-1,2)
KPD: 16,9 (+2,6)
Zentrum: 11,9 (-0,5)
DNVP: 8,3 (+2,4)
BVP 3,1 (-0,1)
DVP 1,9 (+0,7)
CSVD 1,1 (+0,1)
sonstige:3,3 (+0,2)

Unter die Fünfprozenthürde fallen also BVP (Bayrische Volkspartei), DVP (Deutsche Volkspartei), CSVP (Christlich-Sozialer Volksdienst, protestantisch-konservative, also Zentrum auf evangelisch) und natürlich sonstige Parteien.

War eine dieser Parteien an der Koalition vom Januar 1933 beteiligt?
Nein, das waren dier "Grossen Volksparteien", das Kroppzeug hätte, auch wenn es geschlossen gegen HItler gewesen wäre, das nicht parlamentarisch verhindern können mangels Mehrheit, die entsprechenden Parteien hatten zusammen 9,4% der Stimmen.

Demnächst in dieser Reihe: "Warum Demokratie nicht vor Völkermord schützt: Hitler war gewählt"



Samstag, 10. März 2012
PC-Sprech
bei der Tassee Kaffee, als die Tiger schon wieder ihre Zimmer verwüsteten, kamen wir drauf, wie man Verbindungsstudenten denn korrekt bezeichne.

Bei "Burschi" erklärt dir jeder Corpo, dass er das Gesocks auch nicht ausstehen kann.

Nach einigem Hin und Her kamen wir auf "students of colour"- das ist sogar gender-inkludierend. Und heute heisst ja alles Englisch. Da wird der Farbenstudent halt auch durchanglizisiert. Schreibt sich auch einfacher als das erbfeindisch inspirierte Couleur.

Ein schwarzer Student ist übrigens ein student of colour, der einer Verbindung angehört, die keine Farben hat oder sie nicht mehr trägt, also abgeschafft hat. Oder der sie nicht mehr tragen darf weil er sich daneben benommen hat.



Freitag, 13. Januar 2012
Alma Mater mea
>Nachrichten von zu Hause