Von Steinzeithöhlenalphamännchen, Müllwagen und den Genen
Es ist vom wissenschafttheoretischen Standpunkt immer eine gute Idee, sich über die "Brille", durch die man etwas sieht, Gedanken zu machen. Völlige Objektivität wird man selten erreichen wenn die Fragestellung gesellschafts- oder kulturwissenschaftlicher Art ist. Je weniger "harte" Daten man hat, desto einfacher die Anwendung von Lyells'scher Analoglogik.
Nehmen wir als Beispiel die Steinzeit. Wir haben keine Selbstzeugnisse von Individuen, die uns hinterlassen, was sie dachten und fühlten, wie sie organisiert waren, was ihre religiösen und moralischen Vorstellungen waren, wie sie sprachen und so weiter. Wir schließen aus Fundstücken, bemühen die Ethnologie, bilden Parallelen und suchen nach dem, was uns plausibel erscheint. Das sagt auch etwas über uns aus.
Wir haben einerseits zwar viele und auch aussagekräftige Fundstücke, aber die Differenzierung nach Zeit und Raum ist schwierig.
Die "harten" Fakten der Fundstücke bieten Raum zur Interpretation: war der Speer vor allem Jagdwaffe oder diente er dazu, seinem Mitmenschen das Leben zu verkürzen? Kooperierten soziale Verbände, kombinierten ihre Ressourcen zum gegenseitigen Vorteil oder bekriegten sie sich um ebendiese Ressourcen?
Wie setzen sich diese sozialen Verbände überhaupt zusammen? Das einfachste für uns zu denkende wären matri- oder patrilineare Verwandtschaftsverbände. Das könnte man relativ einfach über aDNA und mDNA nachweisen, aber dazu mangelt es an DNA. Wir haben Begräbnisstätten und dort sind miteinander verwandte Individuen beigestetzt worden, aber kann man daraus auf mehr schließen?
Was haben wir noch, außer Knochen und Waffen? Malerei. Aber warum machten sich Menschen die Mühe, Höhlen aufwändigst auszumalen? Kultische Gründe? Freude am Gestalten? Geschichtsschreibung? Herrschaftsanspruch? Alles zusammen? Noch was anderes?
Da stehen wir wieder und rästeln und sagen mehr über uns als über die Malerei selber.
Wir finden Lagerplätze und können zwischen kurzfristigen Jagdlagern und dauerhaft bewohnten Lagern unterscheiden. Wir können Speisepläne zumindest teilweise rekonstruieren über entweder Fundstücke oder wieder die Knochen.
Wir haben Grabbeigaben und in diesen Gräbern zumindest seit der Mittleren Steinzeit eine Tendenz zur Geschlechtsspezifität. Was sagt uns das über eventuelle Hierarchien aus? Erst einmal nichts, da kommen dann wieder die Interpretationen.
Ich las gestern einen (mittlerweile leider verschwundenen) Blogpost über die total sexistische Weltsicht von Fernsehmachern, tatsächlich und wieder jeder wissenschaftlichen Erkenntnis annähmen, daß Männer primär gejagt und Frauen primär gesammelt hätten und die außerdem sich Frau nur als dauerschwanger und deswegen hilflos vorstellen könnten.
Im 9. Monat hüpfen nur wenige Frauen dem Mammuth hinterher, der Bauch ist doch ein wenig im Weg, Pflanzen warten auf dahinwatschelnde Schwangere, auch ein Baby nimmt frau leichter mit zum Sammeln als zur Großwildjagd.
Man muß von mehreren Schwangerschaften pro Frau ausgehen, um das Populationsniveau zu halten, die bundesdeutschen 1,36 waren bei gesicherter höherer Kindersterblichkeit nicht populationssichernd und als Spezies haben wir offensichtlich überlebt, haben also Strategien entwickelt, wie damit umgegangen wird. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ist eine davon.
In der Jungsteinzeit haben wir geschlechtsspezifische Grabbeigaben und geschlechtsspezifische figürliche Darstellungen. Das verstärkt den Grund zu der Annnahme, daß es eine geschlechtsspezifische Wahrnehmung und Aufgabenteilung gegeben habe.
Der Mensch ist nicht nur ein soziales, kulturell geprägtes Wesen, er hat auch eine Biologie.
Männer sind in der Tendenz ein Stück stärker und schneller als Frauen. Das macht bei den meisten Tätigkeiten im westeuropäischen Alltag nichts aus, schwere Lasten heben oder schnell rennen sind nur bei eienr Minderzahl an Tätigkeiten hier wichtig, das sieht woanders anders aus und wannanders sowieso.
Der Hormonhaushalt von Männern und Frauen unterscheidet sich und das scheint Auswirkungen auf das Verhalten zu haben, dabei geht es mir gar nicht um zickige Frauen, die morgen ihre Regel kriegen, sondern um Testosteron, das bei Jungen bereits pränatal anfängt zu wirken.
Gender-Spinner ziehen diese Argumente gern ins Lächerliche und versuchen so zu diskreditieren: "Ach, Männer haben Testosteron und deswegen mögen Jungs Müllwagen statt Ponies?"
Nein, so einfach ist es nicht: Männer haben einen anderen Hormonhaushalt als Frauen, einen, der sie ein Stück durchsetzungsfähiger, man könnte auch sagen aggressiver, macht. Das führt dann eher dazu, daß sie den vergleichsweise großen, lauten (also raumeinnehmenden) Müllwagen toll finden. Das hat nur auf Umwegen was mit "den Genen" zu tun. Wir werden wahrscheinlich kein Gen für 's Müllwagentollfinden entdecken, aber wir können relativ gut erklären, warum Jungs auf große, laute Fahrzeuge stehen und warum sich diese geschlechtsspezifische Tendenz schon im Krabbelalter zeigt.
Aber zurück in die Steinzeit. Aufgrund der Funde, die wir haben, müssen wir von wesentlich längeren Stillzeiten ausgehen. Es ist also tatsächlich halbwegs rational vertretbar und nicht nur legitimierendes Wunschdenken, wenn man davon ausgeht, daß Frauen durch Schwangerschaft und Stillzeit beschäftigt waren und aus der Jagd nach größeren Tieren (von denen wir die Überreste haben) herausfielen. Irgendjemand wird diese Tiere also gejagt haben und da liegt nahe anzunehmen, daß es derjenige gewesen sei, der die Waffen mit ins Grab nimmt.
Warum nimmt er sie mit ins Grab? Braucht er sie im Jenseits? Das setzt vorraus, daß man an ein Jenseits glaubt, was auch wieder interpretationsanfällig ist. Oder sind sie einfach seins, gehören sie ihm und zu ihm und deswegen bestattet man sie mit? Das wissen wir aufgrund der Fundlage nicht. Wir wissen aber, daß deutlich mehr Männer als Frauen mit Waffen beigesetzt werden und das die Waffen sich unterscheiden.
Wir werden es niemals wirklich wissen. Aber es ist ebenso leicht, heutige Wunschvorstellungen nach sozialen Zusammenhängen, die gleichberechtigt und freiwillig miteinander leben und die anfallende Arbeit 50-50 aufteilen und so das perfekte moderne, berufstätige Paar vorwegnehmen, zu konstruieren wie die steinzeitliche Alleinernährerkleinfamilie.
Ist jetzt im Nachhinein etwas schwierig zu begründen und zu belegen, aber ich hatte den fraglichen Blogbeitrag nicht so verstanden, als hätten schwangere Steinzeitfrauen unter völliger Verkennung biologisch-ontologischer Tatsachen Mammuts gejagt. Im Kern ging es doch um den völlig spekulativen Erklärungsversuch, wie sich die Musik evolutionär aus irgendwelchem steinzeitlichen Melodie-Gejodel heimkehrender Jäger entwickelt haben soll. Das erschien auch mir reichlich weit hergeholt.
so weit hergeholt ist das nicht wenn man den ethnologischen Vergleich ranzieht.
Bei dem sollte man vorsichtig sein- nur weil heute australische Aborinigals (theoretisch, die meisten ziehen doch das Feuerzeug vor) Feuer durch Reibung erzeugen und es so aussieht als habe man das in der Steinzeit ähnlich gehandhabt, heißt das nicht, das man die Verwandtschaftsethnologie auch 1:1 übertragen kann.
Die Musik als Heimhol-Technik-Theorie stößt bei mir eher an die Grenzen des stimmlich machbaren- keiner wird 3 Tage lang gesungen haben und am Ende noch das stimmliche Volumen gehabt haben, jenseits der eigenen Zeltwand gehört zu werden
Aber Musik als Orientierungshilfe gibt es, es ist also halbwegs stimmig.
Ich habe besagte Reportage vor so ca einem halben Jahr mehrfach gesehen (wurde bei ZDFneon durchgenudelt und ich war weitgehend bewegungsunfähig) und wenn ich mich richtig erinnere, ist Prof Conard nicht nur ein Fachmann, sondern konstruierte Musik als eins der Merkmale, die den anatomisch modernen Menschen vom Neanderthaler unterscheide, was er aufgrund der Fundlage belegte und nicht nur sich überlegt hatte, weil es so nett ist. Dann ging er auf die "social skills" und Vernetzung von Gruppen untereinander und Handelswege ein und warum das ein weiteres Puzzle in der Frage, warum es keine Neanderthaler mehr gibt, sein könnte.
Es war schon etwas komplexer als jodeln vs jagen.
Die Gesamtrichtung des Postings tendierte arg in Richtung "wer glaubt so einen überholten Mist denn noch?" und konstruierte die völlige ideologiebedingte Ignoranz von Erkenntnissen, wenn man von Jägern spricht, die die Fleischversorgung sichern, während das Weibchen Höhle&Herd versorgte und sich um den Nachwuchs kümmerte. Dummerweise spricht einiges für diese Arbeitseinteilung, unter anderem die Biologie.