Konzepte undercover
Pünktlich mit unserem Umzug nach Bremen wurde unser ältester Sohn schulpflichtig.

Seitdem wundern wir uns wieder über PISA, denn dafür, wie Schule abläuft, haben wir bei PISA noch sehr viel Glück in der Bewertung! Für Lesen, Schreiben, Rechnen und ein bisschen Sachkunde ist da einfach keine Zeit mehr. Diese Klassiker des Bildungssystems fallen hinten runter, den Platz nehmen Wirtschaft, Computer, Hundekunde, gender sensibility and so weiter ein. Das könnte ja zum viel beschworenem „mehr Bildung“ in der „Bildungsrepublik Deutschland“ führen, tut es aber nicht. Stattdessen sind wir „Planlos in Bremen“.

Die Kommunikation mit der Schule, die unser Sohn mittlerweile besucht, ist schwierig. Hinter einem Termin mit der Schulleitung liefen wir monatelang her. Das ich die Konrektorin zufällig im Kopierraum erwischte, wo sie mit ihrer Klasse laminierte, galt für die Schulleitung bereits als Gesprächstermin, bei dem alle offenen Fragen „ausreichend geklärt“ worden sein.
Als wir endlich einen Termin hatten, wurden Fragen konsequent mit „das ist hier so“ bzw. mit Schulterzucken beantwortet.
Ein pädagogisches Konzept, welches Eltern bei Bedarf ausgehändigt und erklärt werden kann, gibt es nicht. Jeder versichert uns, dass es eins gäbe und das es von der Schulaufsicht genehmigt worden sei.
Alle Informationen finden sich im Internet, so sagt man uns- die Homepage wurde 2007 das letzte Mal aktualisiert. Da soll sich auch das Konzept finden… ich habe es bisher nicht gefunden. Dafür fand ich die Information, dass „Lola“, der Schulhund, ein wichtiger Teil des (wahrscheinlich geheimen) Konzeptes ist und gerne Gurken isst.

Der Religionsunterricht heißt in Bremen „Biblische Geschichte“ und in unserer Naivität nahmen wir an, dass dort die Bibel, also das Wort Gottes, und Sein Wirken, so wie die Bibel es erzählt, Unterrichtsgegenstand seien. Da wir eine gemischtkonfessionelle Ehe und Familie sind (über die Konfession des jüngsten Familienmitgliedes wird noch diskutiert), war uns der Ansatz, überkonfessionell zu unterrichten, sehr willkommen. Da waren wir wohl voreilig. Laut Rektorin machen sie da auch „nichts Schlimmes“, was mich sehr beruhigt, denn Jungfrauenopfer sollten in Grundschulen wirklich nicht vorkommen. Ausserdem machen sie da „nicht viel“ wie die Rektorin sagte. Wir bohrten nach. Da machen sie dann „Sozialerziehung“, was immer das sein mag (steht wahrscheinlich im Schulkonzept, welches geheim ist). Also warfen wir einen Blick in den Lehrplan. Die Auskünfte der Rektorin, die sich lieber nicht festlegen wollte und erklärte, da sei jede Lehrerin (an dieser Schule gibt es nur Lehrerinnen) frei, ihren Unterricht zu gestalten, waren für uns der Anlass, uns mit Schule in Bremen im Allgemeinen und der Grundschule, auf die unser Sohn gehen sollte im Besonderen auseinanderzusetzen. Das führte zu Unverständnis („Warum fragen Sie das?“) seitens der Rektorin und auch verschiedener Lehrerinnen. Wir wollten, ganz im Sinne der Rektorin, die uns auf dem Informationselternabend noch aufgefordert hatte, unsere Kinder liebevoll durch das Schuljahr zu begleiten, einen neugierigen Blick in die Schulbücher werfen. Das war seitens der Schule nicht gewünscht. Erstens sei jede Lehrerin frei, das selbst zu entscheiden, zweitens müssten wir uns darum nicht kümmern, das würde die Schule übernehmen und drittens stünde das noch nicht fest.

Für die 1. und 2. Jahrgangsstufe sind folgende Lernfelder vorgesehen:
1. Ich – Erfahrung und Selbstreflexion
2. Wir – Erfahrung und Gemeinschaftsorientierung
3. Lebenserfahrung und Sinnfragen
4. Religiöse Erfahrung und kulturelle Vielfalt
5. Welt- und Zukunftsorientierung

Das spezifisch Christliche findet sich nur in Punkt 4 wieder, und das auch nur am Rande. Die Unterpunkte von 4 sind
„4.1: Alle Jahre wieder ... die christlichen Feste im Jahreslauf kennen lernen und gemeinsam vorbereiten, feiern und erleben“
4.2: Erzähl mir vom Glauben ... wie ist das bei euch? entdecken und erfahren, dass Kinder aus unterschiedlichen Kulturen von Festen, Bräuchen und Religionen erzählen können“

Ansonsten könnte alle diese Punkte wohl besser im Sachunterricht behandelt werden. Umweltschutz, also die Bewahrung der Schöpfung wie der Herr sie uns anvertraut hat, Respekt vor dem anderen und das Akzeptieren von Unterschieden sind für das Christentum wichtige Punkte, aber von Religionsunterricht erwarte ich eigentlich, dass Religion unterrichtet werde, also im Falle des Christentums die (natürlich kindgerecht aufbereitet, niemand erwartet Luthers Rechtfertigungslehre zu verstehen vom einem Erstklässler) Botschaft von Jesus Christus, dem menschgewordenen Sohn Gottes. Das verstößt gegen die geforderte Toleranz gegenüber dem anderen, denn das Christentum ist nun mal keine Religion, die sich selbst als eine unter vielen betrachtet, sondern die Einzige. Jesus Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben und niemand kommt zum Vater denn durch Ihn (Joh. 14,6). Wenn wir nun den Religionsunterricht dazu benutzen, unseren Kindern eine „alles ist gut und kommt von Gott“-Haltung zu lehren, dann müssen wir uns nicht wundern, warum der Dalai Lama mehr Zuhörer hat als der Papst oder wenn sie später den Eindruck haben, es sei eh egal, was man glaubt. Für uns als Christen ist es nämlich nicht egal! Und so entschlossen wir uns, trotz unseres oder eigentlich eher gerade wegen christlichen Glaubens, unseren Sohn vom schulischen Religionsunterricht abzumelden.

Unser Bild von Elternschaft ist geprägt davon, dass wir glauben, dass Gott uns unsere Kinder anvertraut hat. Eines Tages wird er Rechenschaft verlangen darüber, wie wir die uns anvertrauten Talente unserer Kinder (Markus 25, 15ff) vermehrt haben. Als Diener zustehen und zu sagen „Herr, ich gab sie der Schule, keine Ahnung, wie das weitergeht, weiß ich nicht“ ist ganz sicher nicht die Antwort, die Er hören möchte.
Wir denken, dass die Grundfähigkeiten Lesen, Schreiben, Rechnen in der Schule gelehrt werden sollten.

Unser Sohn wird ab Herbst „Computerunterricht“ erhalten. Das sei Teil des (immer noch streng geheimen) Schulkonzepts. Dort wird er den „Computerführerschein“ machen. „Unsere Eltern“ sind davon sehr begeistert. Wir nicht. Das Kind kann noch nicht lesen oder gar schreiben, aber soll „am Computer“ lernen. Wir fragten nach dem didaktischen Ansatz. Und wieder wurde auf das Konzept verwiesen (welches immer noch der Geheimhaltung unterliegt).
Wir reden hier von einer Klasse, in der einzelne Schüler nach Aussage der Klassenlehrerin auf dem Elternabend nicht im Stande sind, eine Schere zu benutzen oder ihren geschriebenen Namen wieder zu erkennen. Was tun sie denn im Computerunterricht? „Das ist nichts Schlimmes, nur Spiele“. Oh klasse… da haben wir also Computerdaddeln zum Unterrichtsfach gemacht und wundern uns dann, wie die PISA-Studie zu Stande kommt? Alles ganz harmlos, erklärt die Rektorin, da bekommen die Kinder dann halt für eine richtig gelöste Rechenaufgabe ein virtuelles Goldstück. Das mag ja ganz lustig klingen, aber wer schon mal erlebt hat, wie schnell sich Belohungen verselbständigen bei Kindern im Schulalter, dem schwant, welchen Sack voll Münzen man also bald für’s Hausaufgabenmachen und Zimmeraufräumen benötigt.
Die Entwicklung einer intrinsische Lernmotivation, wie sie für das selbständige Lernen in fortgeschrittenen Schulstufen notwendig ist, wird mit diesem Konzept aktiv behindert.

„Unsere Eltern wollen das so“ ist eine Antwort, die man oft hört. Eltern sind also eine homogene Masse, keine Individuen mehr, die vielleicht sogar einander widersprechende Vorstellungen von Erziehung haben. Dieses Konstrukt steht auch hinter den „Elternräten“ die die Interessen „der Eltern“ vertreten sollen. Pars pro toto funktioniert in der Lyrik, aber im Leben hat es nur wenig Platz.

Der gleiche Diskurs, der dadrauf ausrichtet, die Einzigartigkeit eines jeden Menschen zu negieren, findet sich auch in Bezug auf die Wahrnehmung von Kindern. „Unsere Kinder mögen Hunde“ heißt es, wenn man fragt, wie der Schulhund (ja, diese Schule hat einen „Schulhund“, der für das Konzept wichtig ist. Da dieses Konzept streng geheim zu sein scheint, weiss ich leider nicht, was genau seine Rolle ist. Mein persönlicher Verdacht ist, dass eine Lehrerin einen Hund wollte und nun nicht weiß, was sie tagsüber mit ihm anfangen soll). „Unsere Kinder kommen damit zurecht“ heißt es, wenn ich nachfrage, wie die Kinder darauf reagieren, dass sie in den Pausen nicht essen dürfen. Die Frage, wie mit durch Hunger ausgelösten Konzentrationsschwierigkeiten umgegangen bzw. wie diese vermieden werden wird mit Schulterzucken und „das klappt schon“ beantwortet. Meine Erfahrung damit ist bisher, dass zumindest mein Kind nicht damit zurechtkommt, von 9:30 bis 13:30 nicht essen zu dürfen. Die Lehrerin hat mittlerweile einzelne Kinder sogar angewiesen, das Brot wieder wegzupacken.
Dahinter scheint auch wieder ein streng geheimes, pädagogisch ausgeklügeltes Konzept zu stehen. Zumindest nehme ich das an, denn die gegebenen Erklärungen, dass man den Kindern nicht erlauben könne zu essen, da sie sich das „Butterbrot in die Haare schmieren“ (Zitat der Rektorin) gehören wohl eher ins Reich der Schauergeschichten. Eine Pausenaufsicht könnte das doch recht einfach unterbinden.

Das Regeln und das Einhalten von Regeln ein wichtiger Teil des Meta-Lehrplans ist muss nicht diskutiert werden. Auch das seine Gemeinschaftseinrichtung wie Schule gewisse Regeln braucht, um überhaupt funktionieren zu können, steht außer Frage. Wenn jeder den Unterrichtsbeginn selbst beschließen darf oder soll, kann man die Idee des gemeinsamen Unterrichtes getrost vergessen.
Bei jeder Regel muss man fragen „cui bono?“. Nicht rennen, schubsen und drängeln macht den Schulalltag sicherer, der Nutzen ist also klar. Auch das man sein Butterbrotpapier nicht auf den Pausenhof werfen darf ist klar. Eine Pausenaufsicht könnte einschreiten. Insgesamt sollten Regeln dazu dienen, Schaden abzuwenden. Das Unheil eines Pausenbrotes hat sich mir bisher, trotz mehrerer Gespräche mit Lehrerin und Rektorin, noch nicht aufgetan. Wer weiß, vielleicht gehört das ja zu den Dingen, die Eltern im zweiten Schuljahr lernen?

Ich benutze das Wort „Sorgerecht“ sehr ungern, denn es ist unsere Pflicht, die Kinder, die Gott uns anvertraut hat, zu versorgen. Ich rede lieber von der „Sorgepflicht“. Ich sehe diese Pflicht verletzt, wenn mein Kind aggressiv vor Hunger aus der Schule kommt, weil der Lehrer es verbietet, dass er sich etwas auch seiner Brotdose nimmt. Durch die Schulpflicht sind wir gezwungen, das Wohl unserer Kinder für die Zeit des Unterrichts der Schule anzuvertrauen. Die Schule muss dieser Verpflichtung nachkommen. Das tut sie meiner Ansicht nach in diesem Bereich nicht. Wie sollen denn hungrige Kinder lernen?

Und so wundern wir uns nicht mehr, wenn Bremen beim PISA-Test Schlusslicht ist. Alles andere wäre erstaunlich.