Deutschland und Frankreich
Wenn in Frankreich die Busfahrer streiken, fährt da gar nichts mehr. Und wenn das alles nicht klappt, dann schliessen sich halt die Lehrer an, oder die Fluglotsen oder wer auch immer oder alle zusammen. Das heisst zwar nicht, dass sie alles durchkriegen, aber die Verhandlungsbasis ist eine andere.

In der BRD haben Gewerkschaften und so weiter mal wieder einen "heissen Herbst" angekündigt, um gegen die Sparmassnahmen zu protestieren. Das hat angesichts der zu erwartenden Resonanz irgendwie was Rhetorisches. Klar, da gehen mal 10.000 auf die Demo, aber das kratzt doch, wenn wir mal ehrlich sind, weder die Kanzlerin noch ihre Minister.

Aus politischen Gründen wird hier nicht gestreikt, das ist nämlich verboten. Und wenn gestreikt werden würde -was es nicht wird-, dann bitte "sozialverträglich". Da fällt dann hier mal ein Bus aus oder da ein Tag Kindergarten. das ganze bitte so, dass die Bevölkerung nichts davon mitbekommt.

Vor einigen Jahren bekam ich an der Bushaltestelle einen Schlüsselanhänger geschenkt. Das war nett. Und die beiden großzügigen Schenker baten mich um Verständnis, dass nächste Woche hier ein bisschen gestreikt wird. Als ich ihnen sagte, dass sie die Stadtwerke einfach GANZ dicht machen sollten bis sie ihre Lohnerhöhung haben, schauten sie seltsam. Ich erklärte ihnen, dass ihre Forderungen meiner Ansicht nach gerechtfertigt sind und ich volles Veständnis für eine harten Arbeitskampf habe. Das konnten sie nicht so recht fassen.

Wenn in Deutschland das Rentenalter von 65 auf 67 steigt, passiert gar nichts. Ein paar Leute gucken traurig und sind betroffen, macht aber nichts.

Wenn in Frankreich das Rentenalter auf 62 Jahre erhöht werden soll, steht das Land still.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,724313,00.html

Wenn morgen in Deutschland die Bundesregierung beschlösse, Arbeitslose müssten ein signum pauperum tragen, gingen ein paar Berufsbetroffene und Experten in Talkshows und äusstern ihre Bedenken. Passieren täte nichts.
In Frankreich wäre wahrscheinlich der nächste Sturm auf die Bastille fällig.
Man stelle sich vor, in Frankreich wöre das Reneneintrittsalter auf 67 angestiegen...

Warum in Deutschland so viele Menschen ihre Interessen nicht wahrnehmen... warum nicht mal die Betroffenen gegen die Hartz-IV-Einschnitte protestieren... das sind immerhin mehr als 6 Millionen! Wenn man davon die 1,772 Millionen Kinder abzieht (ist nicht korrekt, ich weiss, aber wann fängt das Alter an, in dem man seine Interessen wahrnehmen sollte und kann, bleiben immer noch mehr als 5 Millionen Menschen, denen Geld gekürzt wird und die nichts dazu sagen.
Wo sind die? Zeit dürfte doch da sein, warum sind die nicht auf der Strasse?

In der Speditionsbranche herrscht Ausbeuterei pur. Ich frage michm warum die LKW-Fahrer keine Gewerkschaft haben. Klar können Brummi-fahrer bei ver.di eintreten, aber warum tun sie es nicht? warum wird da nicht gestreikt für bessere Arbeitsbedingungen?

Mein völlig pessimistischer Kommentar:
solange die Leute selbst ihren Finger nicht aus dem Arsch un denselbigen hoch bekommen ist denen nicht zu helfen.




txxx666 am 23.Okt 10  |  Permalink
Die Franzosen rebellieren, während die Deutschen resignieren...

cassandra_mmviii am 23.Okt 10  |  Permalink
Die Deutschen diskutieren es halt aus.

"Lass uns mal drüber reden" ist zwar eine vorbildlich demokratische Grundhaltung, aber irgendwann muss das Reden auch mal Ergebnisse zeigen bzw beide Seiten müssen sich als Ergebnis zumindest aufeinander zubewegen. Und das sehe ich weder bei Frau von der Leyen Gesprächen noch bei S21.

che2001 am 03.Dez 10  |  Permalink
@" wann fängt das Alter an, in dem man seine Interessen wahrnehmen sollte und kann" ---- Auf meiner ersten Demo war ich mit 4. Ging um Frieden in Vietnam.

@"Ich frage mich warum die LKW-Fahrer keine Gewerkschaft haben." --- In den USA haben sie die. Ist dort sogar die mächtigste Gewerkschaft überhaupt, weil die Teamster sich nicht scheuen, Mafia-Schläger zu mieten, um ihre Interessen durchzusetzen - zu Capone-Zeiten mit MPi-Feuer.

cassandra_mmviii am 03.Dez 10  |  Permalink
Ja, in den USA haben die Transportarbeiter recht schlagkräftige Gewrkschaften. Und wenn die streiken, dann geht nichts mehr. Ist hier anders.

Warum??? Lassen sich Deutsche gern knechten? ich halte von völkischen Eigenschaftszuschreibungen ja nichts, aber irgendwann gehen mir die anderen Erklärungen aus.


Wenn wir den Nachwuchs mitzählen, dann müssten heute eigentlich noch viel mehr Menschen Rabatz machen auf der Strasse gegen die Hartz-IV Bundestagsbeschlüsse. Tun sie aber nicht. Vielleicht ist es einfach nur zu kalt?

che2001 am 04.Dez 10  |  Permalink
Läge es an der Kälte, hätte es in Russland keine Februarrevolution gegeben, und was sollten dann die kanadischen, norwegischen, finnischen und argentinischen Gewerkschaften tun?

cassandra_mmviii am 04.Dez 10  |  Permalink
Che, das war mein Versuch, eine ansatzweise rationale Erklärung zu finden.

Ansonsten muss man irgendwann zu dem Schluss kommen, dass Deutsche sich nun mal gern knechten lassen. Dann können wir entweder das ganze Land zum Psychologen schicken (bin aber generell gegen die Pathologisierung von Verhalten, also scheidet das schon mal aus) oder BDSM-Reiseveranstalter auf ein ganz grossartiges Ziel aufmerksam machen, damit zumindest IRGENDJEMAND Spass dran hat. Mehr fällt mir dazu echt nicht mehr ein.

Himmelherrjesus, hier geht Sigmar Gabriel als Speerspitze der Arbeiterbewegung durch...

txxx666 am 06.Dez 10  |  Permalink
Hihi - Sigmar Gabriel, die abgerundete und rundum stumpfe "Spitze" der dütschen Arbeiterbewegung - Verletzungsgefahr ausgeschlossen... : D

cassandra_mmviii am 06.Dez 10  |  Permalink
Überleg, wie hundsmiserabel die Situation sein muss, damit Siggi Pop als Demagoge durchgeht.

Die USA haben übrigens dass, wofür er so heftig streotet: einen Mindestlohn, der im ganzen Land zählt. Einzelne Staaten haben aber etwas, bei dem die deutsche Wirtschaft sofort sofort ihre Koffer packen und fliehen würde, weil das Kommunismus sein muss: die Bundestaaten dürfen höhere Mindestlöhne festsetzen und tun dies auch noch!

Kollabiert ist die Wirtschaft in den USA deswegen noch nicht.

Wenn das im Land des Erzkapitalismus klappt, warum denn nicht hier?

txxx666 am 06.Dez 10  |  Permalink
Und ich dachte bzw. hörte öfter davon, man müsse in God's Own Country als Geringqualifizierter mindestens zwei (besser drei) Jobs haben, um über die Runden zu kommen...
Könnte es evtl. sein, dass diese Mindestlöhne (so erfreulich es auch sein mag, dass es sie gibt) obszön niedrig sind?

cassandra_mmviii am 07.Dez 10  |  Permalink
Federal minimal wage liegt bei irgendwas um die 5 Dollar. Das ist niedrig. Und die meisten der Jobs, für die minimal wage gezahlt wird, sind nicht Vollzeit, also muss man sich davon 2 bis n suchen. Stimmt.

Aber nicht so obzön niedrig wie das, was hier gezahlt wird! Und auch hier haben Leute x Jobs, un die werden noch schlechter bezahlt.

Nichr perfekt, aber ein gutes Stück besser als "kannst ja Hartz IV einreichen wenn dir das nicht reicht und aufstocken".

txxx666 am 25.Jan 11  |  Permalink
Hier ist aber auch schon lange nichts mehr passiert... wie kommt's?

cassandra_mmviii am 25.Jan 11  |  Permalink
Ärger mit der Schule nimmt gerade so ziemlich alles in Anspruch, was an freier Zeit mal da war.

Der Junge ist in der ersten Klasse und sitzt jeden Tag zwischen 2 und 3 Stunden an den Hausaufgaben.

Reaktion der Lehrer: "das ist so"

ReaktionderEltern: "ja, wenn das so ist,dann ist das eben so" bzw "Bildung über alles!"

Ich halte ja auch 'ne Menge von Bildung, aber da muss was die Arbeit angeht in der ersten Klasse noch Luft nach oben bleiben.

txxx666 am 25.Jan 11  |  Permalink
Waaaas? In der ersten Klasse mehrere Stunden Hausaufgaben???
Das ist ja pervers.
Was haben die denn da auf? Ich kann mich dunkel erinnern - bei uns gab's seinerzeit sowas wie "eine Seite Schleifchen malen" mit Wachsstift zur Vorbereitung auf den Füller und die Schreibschrift...
Das waren noch Zeiten (die 1970er nämlich)!

cassandra_mmviii am 25.Jan 11  |  Permalink
Rechenaufgaben bis 20.

4 bis 6 pro Block, 3 bis 4 Zeilenund das die ganze DIN-A4 Seite lang. Heute 1 1/2 Seiten-eine halbe nicht in der Schule geschafft, also nacharbeiten bis morgen.

Schreiben: Wörter in die Zeile, oder Sätze abschreiben. Auch seitenweise.

Dazu lesen. Auch die ganze Seite.

Lesen klappt für die Schule hundsmiserabel, weil es strunzenlangweilig ist, einzelne Sätze zu lesen.
Aber abends mir das Ritter-Buch vorlesen, weil Ritter ja toll sind...

In den Ferien (14 Tage) haben wir nach gearbeitet, was er nicht geschafft hatte, weil er ja so "langsam" ist.

Die Mathe-Lehrerin hat mir mittlerweile gesagt, dass man ja merke, dass wir eine bildungsferne Familie seien und dass man gerade mir ja auch "Lernfeindlichkeit" anmerke.


Letztens sass ich abends vor der Weinflasche und dachte dadrüber nach, ob die Welt wohl anders aussieht, wenn ich bis zum Grund vorgedrungen bin. Hab ich aber gelassen-Drogen ändern auch nichts.

Ja, die guten alten Zeiten, mit Mengenlehre und Rechenstäbchen... da wird man glatt zur Konservativen! Früher war alles besser....

txxx666 am 26.Jan 11  |  Permalink
Und dann womöglich noch Lehrkräfte vom Schlage(!) einer Ursula Sarrazin - die heutigen Grundschulkinder sind wahrlich nicht zu beneiden.