Bremen
Die Einheitsfeier findet wie üblich unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Okay, wer hat auch schon Lust, eine Rede von Wulff anzuhören?
Wer irgendwann mal am 14. Juli in Frankreich war, der weiss, wie ein Nationalfeiertag aussehen sollte. Gut, Juli ist für Tanzen auf der Strasse bis die Füsse bluten auch viel besser geeignet als Oktober, und wenn Deutsche einen auf "Lieb Vaterland" machen geht meistens etwas ganz gehörig schief und halb Europa liegt in Scherben, aber... irgendwie traurig.
Wir sind ein Land, was nicht mal die eigene Gründung feiert. Da tönt es in meinen Ohren einfach hohl, wenn beim Fussball auf einmal alle "für Deutschland" sind.
Letztes Jahr diskutierte "die Politik", ob man den 3. Oktober nicht lieber im Interesse des "Standorts Deutschland" zum Werktag machen sollte und ihm am nächsten Sonntag "nachfeiern" sollte. Das ist bitter, aber ganz ehrlich: wen interessiert denn, wann das Bundestagsorchester ein Streichquartett entsendet, was für sich hinfiedelt, nachdem ein Haufen Würdenträger (wo tragen die die Würde eigentlich hin und kann man sie von da wieder zurück bekommen?) gemessene Reden gehalten hat, gemahnent und erinnert?
In Bremen gibt es die üblichen Fress- und Nippes-Stände und beim Anblick der schwarz-rot-gelben Pappkrönchen und Bierdosen hätte ich gestern ja beinahe einen dieser "A la Bastille!"-Anfälle bekommen.
Sehr hübsch waren auch die Warnungen der Polizei vor der Demo. Nach dem, was in Stuttgart passiert ist, haben mir die uniformierten Schwerbewaffneten, die formiert überall rumstanden, wesentlich mehr Sorgen gemacht als ein paar Bürger in Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte!
Im Prinzip sind mir ja auch fast alle Anlässe zum Feiern willkommen, aber die Selbstbeweihräucherung der eigenen "Nation" (nicht nur der deutschen) empfinde ich als sehr unangenehm und chauvinistisch. Da kann eigentlich nichts Gutes bei rauskommen...
Ich hoffe, dass irgendwann einmal (und lieber bald als später) die Existenz von Nationalstaaten überwunden sein wird und es so etwas wie eine weltweite Demokratie (eine echte, nicht eine Plutokratie, wie wir sie heute haben) geben wird...
Ich finde, es gibt einen Unterschied, ob man zB in Frankreich, etwas feiert, was man als Fortschritt sieht (Ende des Absolutismus, Kolonialismus etc) oder ob man von "oben" einen Feiertag verordnet bekommt, der noch nicht mal gefeiert wird.
Man könnte in Deutschland ja mal die Märzrevolution 1848 feiern. Oder den Tag, an dem die Paulskirchenverfassung in Kraft treten sollte.
Ein Freund meines Mannes sagte, wenn Stuttgart in Frankreich passiert wäre, würden da noch nächste Woche die Strassen brennen.
Frankreich hat eine demokratische Tradition in dem Sinne, als das "das Volk" (ja ich weiss, problematischer Begriff, aber der beste, den ich gerade finde) nicht jede Anweisung "von oben" befolgt. Und dadran mangelt es "uns Deutschen".
Demokratie funktioniert nur mit Demokraten, also Menschen, die ihren politischen Willen artikulieren anstatt das zu machen, was ihnen gesagt wird.
In Stuttgart (zu meiner Überraschung- ausgerechnet die SCHWABEN!) bildet sich gerade so etwas wie ein artikulierter Wille.
D'accord - die Französische Revolution ist sicherlich ein historisch bedeutsameres (und begehenswerteres) Ereignis als der Beitritt der DDR zur BRD.
In Belgien könnten übrigens heute der 180. Jahrestag der Unabhängigkeit gefeiert werden, wenn Flamen und Wallonen sich nicht gerade die Köpfe zerbrächen, wie sie einander wieder los werden - und die ehemalige Kolonie Kongo wird zu dieser Staatswerdung auch wenig Feierliches zu erinnern haben...
Deswegen feiert man im Kongo nicht die belgische Unabhängigkeit, sondern die Unabhängigkeit des Kongo.
Ja, man kann in diesem zusammenhang dadrauf hinweisen, dass die meisten taaten Afrikas am Reisbrett entworfen worden sind und unter üblen postkolonialen Problemen leiden und dass im Kongo "ethnische Spannung" neu definiert wird und so weiter, aber nicht mehr Kolonie zu sein dürfen schon ein kleines "Hurra!" und einen freien Tag wert sein, oder?
Einen freien Tag: gerne, immer!
Ein innehaltendes Gedenken: kann nie schaden.
Ein patriotisches "Hurra!"? - Nun ja...
Diskutieren wir diese Frage doch mal fern der Realität in reiner Theorie.
Nehmen wir mal an, dass sich irgendwann übermorgen im Laufe des Tages die native Bevölkerung von North und South Dakota überlegt, das Sezession eine supertolle Idee ist und ruft die Sioux Nations aus. Wie lange das gut ginge... na ja, ist ja nur in der Theorie :)
Die Sioux Nations beschliessen, drei Feiertage zu begehen:
den Sezessionstag
Das Gedenken an Wounded Knee. Grund ist offensichtlich, Genozid und so.
Und weil ihnen ganz akut danach ist, nicht nur trauernd innezuhalten, auch noch den Tag der Schlacht von Little Big Horn. Da wird dann gefeiert, mit ganz viel Hurra.
Wie sieht es in dem Fall aus? "Hurra!" oder lieber nicht?
So ganz fernab von der Realität ist das ja nicht - z.B. die
Irokesen sehen sich wohl immer noch als unabhängige Nation an, die z.B.
dem Dritten Reich den Krieg erklärte, aber nicht mit den USA kooperieren wollte. (Leider steht bei Wikipé aber nicht, welche Feiertage da begangen werden...)
Generell ist ein Tag erlangter Unabhängigkeit nach vorheriger Unterdrückung/Ausbeutung/Verfolgung/Versklavung/Ausrottung meiner Meinung natürlich immer eher ein Grund zur Freude als etwa eine gewonnene Schlacht. Und da kann sogar so etwas wie "Nationalbewusstsein" ein hilfreicher Schritt zur Emanzipation darstellen - in dem Moment allerdings, wo Nationalbewusstsein (oder Nationalismus) nicht mehr als Vehikel dient, Unterdrückung zu überwinden, sondern dazu, andere zu knechten, finde ich es nicht mehr feierlich. Und insofern finde ich, kann gerade Deutschland (aber auch so manch andere große und mächtige "Nation") auf einen Nationalfeiertag gut verzichten. Da ist dann eher so etwas wie ein Gedenktag für die Opfer der eigenen Großmachtansprüche angesagt...
Ich weiss was Irokesen sind, habe sogar selbst schon mindestens 2 getroffen.
Die Liga versteht sind, da hast du recht, nicht als Teil der USA (was die USA aber anders sehen, ebenso wie Kanada), sondern als unabhängige Nation. Wie das dann genau pass, wenn ein Stammes-Staatsangehöriger zu den Streitkräften geht... Kopfweh? Ignorieren? Wie auch immer...
Soweit ich weiss, werden dort von traditionell Orientierten die religiösen Feiertage begannen, die sich (was ne Überraschung) nicht am Gregorianischen Kalneder orientieren und grösstenteils Jahreszeiten und Erntefeste sind.
Ein Grossteil der Irokesen ist römisch-katholisch soweit ich weiss. Da dürften dann auch die entsprechenden Feiertage begangen werden.
Und irgendwie sind die Jungs&Mädels zu mehr Nationalismus im Stande als wir das so normalerweise tolerieren.
Ich sehe schon, mit den alten Amerikanern kenne ich mich da doch etwas weniger aus... ; )
Unfairer Vorteil- Ethno studiert :)
Eine Reihe von "tribes" oder "bands" nehmen sich selbst als unabhängig wahr, haben aber anscheinend kein Problem damit, wenn Angehörige zB in de US Streitkräften dienen., was gar nicht mal soooo selten ist.
Beim "Riding Home" der Cherokee werden auch US-Fahnen mitgeführt. Da wird kein Widerspruch gesehen.
Sehr schön fand ich den AIM (American Indian Movement)ler, der nicht verstand, warum seine deutschen Gesprächspartner NICHT zu den "traditional ways of our ancestors" etc zurückkehren wollten und lieber beim parlamentarischen System bleiben wollten.
Interkulturelle Verständigung ist manchmal schwierig.
Ethnologie?! - Das ist in diesem Zusammenhang allerdings ein klarer Wettbewerbsvorteil!
Nach dem, was ich vom US-amerikanischen Bildungssystem so gelesen und gehört habe, kommt da internationale Geschichte und Politik eher nicht so vor; insofern ist es wohl nicht verwunderlich, wenn da (wie mal kolportiert wurde) jeder zweite Ami (und evtl. auch AIMler) glaubt, Adolf Hitler wäre heute noch Bundeskanzler von Deutschland, welches obdendrein in Asien zwischen China und Japan gelegen sei (oder so ähnlich ; )
Sooo schlimm ist es dann doch wohl nicht. Da gibt es vor allen Dingen grosse Unterschiede, was die einzelnen High Schools angeht, bei den Colleges sieht s noch unterschiedlicher aus.
Und vor allen Dingen sind der menschlichen Dummheit NIE und NIRGENDS Grenzen gesetzt.
Er ging davon aus, dass Deutschland (wegen Zweiten Weltkrieg) erobert worden sei und das amerikanisch-britische System aufgedrückt bekommen hat und es hier vor Hitler etwas viel besseres, weil traditionelles, also bewährtes, gegeben hat. So mit Stammes-Basisdemokratie oder so was.
Ja, 4 Semester Ethnologie. Klarer Wettbewerbsvorteil :)
Stammes-Basisdemokratie - schön wär's ja gewesen. Aber soweit meine bescheidenen Kenntnisse als Hobby-Ethnologe gehen, hat es das in Deutschland wohl nie gegeben - selbst das germanische Thing war doch immer auf die Oberen Zehn (damals wohl noch nicht -tausend) beschränkt, ohne Teilhabe von Frauen und Kindern, Leibeigenen und Sklaven...
VORSICHT:
diesen Mythos vom "freien Germanen" der sich am Thing traf und da basisdemokratisch Dinge regelte, haben erschreckend viele Linke gefressen.
Das tut weh, denn diesen MURKS haben der Reichsführer SS sowie geistige und akademische Helfershelfer (Wirth, Teudt, Jankuhn im "Ahnenerbe") und Vorläufer (völkische Bewegung) in die Welt gesetzt und er wird bis heute von rechten Kreisen gepflegt.
Die Germanen hat Caesar erfunden. Die gab es als politische Einheit nämlich nicht bevor Gaius Julius sie dazu machte.
Ja, Germanen hatten Sklaven und Leibeigene und die hatten kein Thing-Recht.
Haithabu (Wikinger-Stadt an der Schlei, 1066 niedergebrannt) war eins der Zentren des Sklavenhandels in Europa.
Nichts mit Gemeinfreien oder sonstigen Unfug, den man immer noch findet.
Uff... ich und mein Lieblingsthema :)
Heidenei - da scheint ja 1066 ein echtes Schicksalsjahr für die Germanen gewesen zu sein; denn hat da nicht auch William mit seinen (inzwischen frankophonen) Normannen/Wikingern die entfernten Verwandten in Angelsachsen unterworfen?!?
Ja, Battle of Hastings, im Prinzip nur eine Schlägerei zwischen Wikingern.