Samstag, 30. April 2011
Two weddings and a funeral
6 deutsche Fernsehsender übertrugen die gestrige Trauung im Hause Windsor. Und wer das verpasst hatte konnte abends die Wiederholung anschauen.

Ich hab's gemacht.

Also erst einmal: könnte jemand den Hofberichterstatter auswechseln? Der kann zwar toll "huldvoll" sagen und ist wahrscheinlich der einzige Mann, der 5 Gelbtöne unterscheiden kann, aber das war's dann auch. All' die Dinge, die mich interessiert hätten, komentierte er nicht. ZB die Frage, warum ein Teil der Chorknaben keine Chorgewänder trug, sondern Hofuniform.
Und wer die eingeblendeten Anwesenden waren war ihm auch zu kompliziert.
Oder warum der Erzbischof der Heiligen Römisch-Katholischen Kirche zusammen mit den Orthodoxen noch vor dem Sakralraum neben dem Eingang sass. Dass könnte ich erklären- vielleicht sollte ich mich mal bewerben. Irgendwann muss der ja mal in Rente gehen.

Alles interessante Fragen. Aber lange nicht so interessant wie die Frage, warum die Deutschen so durchdrehen wenn in England 2 Leut' heiraten.

Die Briten selbst schien das relativ kalt zu lassen. Im Gegensatz zu anderen Gelegentheiten hätte es sogar noch Stehplätze mit Aussicht an der Royal Mall gegeben.

Warum legen die Deutschen mehr Begeisterung für die royal family an den Tag als die Briten?


Die ersten Erklärung, die mir in den Sinn kommt, ist relativ banal und schon gefühlte 1000 Mal für alles herangezogenworden: die Royals sind eine Reality-Soap. Herz und Schmerz verkauft sich immer. Je grösser die Bühne, desto besser.

Die ganz grosse Bühne fing mit der Krönung der Königin an. Das erste Mal konnte auch John Smith zuschauen. Gleichzeitig zelebrierte man noch einmal, den gewonnen Krieg relativ frisch im kollektiven Gedächtnis, sich selbst, das British Empire und die grosse alte Zeit, von der man sich verabschieden musste. Aber das war den Deutschen, den verlorenen Krieg noch relativ frisch im kollektiven Gedächtnis, erst mal egal.

Elizabeth kann ja nu' nichts für ihren Namen, aber bei II hat man immer I im Kopf und damit das Goldene Zeitalter Englands. Und das Krönungsbild der jungen, ernst schauenenden Königin mit Szepter und Schwert prägte sich ein.

Die nächsten Jahre waren nicht sehr spektakulär. Nach ihrem ersten und einzigen Versuch, politisches Profil zu entwickeln, beschränkte sie sich auf schöne Bilder. Schade eigentlich, vielleicht wäre uns Maggie Thatcher erspart geblieben.

Und die Krönung dieser schönen Bilder war die Hochzeit ihres Thronfolgers mit Diana. Was bei Shakespeare das Finale ist (Zitat mein Dozent: "Am Ende sind alle tot, dann ist es eine Tragödie, oder verheiratet, dann ist es eine Komödie. Entscheiden Sie selbst, was schlimmer ist!") war hier nur der opening act.

Das Diana-und-Charles-Drama entfaltete sich vor unser aller Augen mit wohlbekannten und kulturell etablierten Rollen: fiese kalte Schwiegermutter, nettes, hilfloses Mädchen, Muttersöhnchen und liebloser Ehemann, der von der eigenen Familie nicht loskommt. Da ist für jeden was dabei.

Diana spielte die Medienflöte noch besser als ihre Schwiegermutter. Bis heute steht sie als das unschuldige Opfer der seltsamen Windsors da, als das nette Mädchen von nebenan, die den falschen Mann geheiratet hatte und Opfer ihrer Schwiegerfamilie wurde, als die fürsorgende Mutter, die ihren Söhnen ein normales Leben ermöglichte und Liebe, Wärme und Herz in die Familie brachte und am steifen, überkommenem Hofprotokoll zerbrach. Sie schaffte es, zur Projektionsfläche für moderne Konflikte zu werden wie es sonst nur Soap-Figuren schaffen: Ehebruch, Magersucht, edle Helferin, Mutter, Scheidung, Wunsch nach Berufstätigkeit...
Das ist eine Rollenverteilung, die jeder kennt, auf der ganz grossen Bühne.

Dazu kamen die diversen Enthüllungen über die ausserehelichen Vergnügungen des Nachwuchses.
Die Scheidung der beiden beendet den zweiten Akt. Und man ist fast versucht zu sagen "endlich!"

Zu Beginn des dritten Aktes haben wir eine Beerdigung, bei Seelmann-Eggebrecht es nicht geschafft hat, die Standarte von Wales zu erkennen. Ich muss mich ganz dringend bewerben, mehr Mist als der Mann kann man eigentlich nicht machen.

Der Tod von Diana stellt ein neues Tief in der Beziehung Königshaus-Volk dar. Tony Blair rettet dann die Monarchie vor sich selbst und ihrer Abschaffung. Die Royals müssen sich neu erfinden, sonst sind ihreTage gezählt.
Und es kommt eine neue Figur auf's Spielbrett: der älteste Sohn, der hinter dem Sarg geht. Ein sehr eindrückliches Bild.

Und nun heiratet dieser Sohn. Das allein ist ja nun schon mal Stoff für grosses Kino.


Der zweite Erklärungsansatz ist der Wunsch nach heiler Welt. "Wenn schon die völlig verkorksten Windsors es schaffen zumindest einen Tag mal nett zueinander zu sein, dann kannst DU ja wohl mit zu Opas 82. Geburtstag ins Alterheim kommen!"

Familie Windsor auf dem Balkon ist zwar verkracht und alle sind ziemlich seltsam angezogen, aber irgendwie sind sie dann doch wieder erschreckend durchschnittlich. Da passt die Katie ganz gut ins Bild.

Sie sind eine Konstante. Irgendwie gab es die schon immer, sie sind stabil in all ihrer Metastabilität und in einer Welt, in der es immer schneller geht und Gesichter schneller gehen als sie kommen, sind sie so beruhigend vertraut wie in Paar alter Pantoffeln.

Und es ist einfach, über sie zu berichten. Da gibt es nichts neues, sondern immer die gleichen Geschichten.

Das wird noch erschwert durch die immer stärker verflachende Nachrichtenkultur. Ich habe es mal abgestoppt: letzte Woche nahm der Sport von 15 Minuten Tagesschau unter der Woche zwischen 4 und 7 Minuten ein. Da ist nicht viel Platz für Analysen, konstante Berichterstattung und Hintergründe.

Ausserdem fehlen in der Weltpolitik gerade die einfachen Erklärungen. Zu kommentieren warum vor einem halben Jahr Assad in Syrien noch ein guter Demokrat war und nu' nicht mehr... das ist schwierig. Oder warum das in Afghanistan alles nicht so recht klappt. Da ist es einfacher, über einfache Forderungen zu berichten: "Bundeswehr raus aus Afghanistan", "weg mit XY" oder so.


Der dritte Aspekt ist die Dramatisierung des Alltags durch Formate wie "Familien in Krise" oder wie das heisst und die Durchsetzung des Fernsehprogramms mit Pseudo-Dokus. Die Voyerisierung des Fernsehen ist oft genug diskutiert worden, aber hier erleben wir sie echt in Reinkultur. Jeder ist ganz nah dabei und trotzdem in gemütlicher Sicherheit.



... und die Kate sah ja nu' wirklich schnuckelig aus gestern.