Wie man von links aus rechts vom Pferd fallen kann
Auch ich amüsiere mich manchmal gern. Einige Mitmenschen schauen sich dann auf youtube an, wie Katzen Skateboard fahren, ich mag es lieber wenn sich Leute selbst ins Abstruse reden. Und so schaute ich mal wieder beim Che http://che2001.blogger.de/ vorbei, der eine lebhafte Leseempfehlung ablies. Ok, ich hatte eh nix zu tun, Tee war noch warm , also avanti dilettanti!

Und jetzt sitze ich hier und mir fehlen völlig die Worte.

Da baute ein Zeitgenosse, der sich selbst für ultra-aufgeklärt hält, Kontinuitätslinien, die Otto Höfler in Begeisterungsstürme ausbrechen liessen, wenn Otto Höfler nicht mittlerweile vor seinem Richter stünde und dort wohl einiges zu erklären hat und deswegen zu beschäftigt für Begeisterung wäre.

"Ansonsten für wie auch immer sich um Handy, iPad und Computer Rankendes, für Bücher (neuerdings vor allem eBooks) und Musik und für Lebensmittel. Mittagstisch im O-Feuer, das ist allerdings nicht nur Nahrung: Ich gehe da auch so gerne hin, weil das Personal so unübertroffen herzlich ist: Kommunikation und ein Zuhausegfühl. Auch nix kulturell Neues. Den ganzen technischen Kram nutze ich vor allem zur Kommunikation wie zum Schreiben, auch „Kunst oder so was machen“. Musik ist ja nun ebenso wie Kommunikation oder Schreiben nichts Neuzeitliches, und Lesen auch das gute alte Geschichten sich erzählen lassen, was wahrscheinlich schon Urzeitmenschen in Höhlen betrieben haben und heute auch in Film und Fernsehen statt findet. Essen gehört auch dazu, und es ist nicht unbedingt luxuriös, was ich da einkaufe. Ein Auto habe ich nicht, und große Reisen mache ich eigentlich auch nicht. Geld geht noch weg für Miete, Strom, Wasser, Versicherungen … ansonsten hält sich, mal ab von Alkohol, Kaffee und Zigaretten, denen ja bei genauerer Betrachtung auch fast etwas Archaisches anhaftet, mein Konsumverhalten eigentlich in Grenzen und ist zwar technisch auf einem ganz anderen Stand als bei unseren Vormüttern, aber so weit weg nun auch nicht von den Bedürfnissen irgendwelcher Leute vor Christi Geburt. Vermute ich. Auch das Hundefutter, das Zusammenleben mit einem Haustier, ist ja ein Restbestand dessen, was da, wo ich her komme, im Angerdorf die Leute im Bauernhaus auch schon machten."

Ja, so lebten sie, unsere Vorfahren, harmonisch im Einklang mit Hund. Erzählten sich Geschichten und sassen in herzlicher Athmosphere beeinander.
und genau so gehen wir denn heute weiter auf den Wegen, die sie uns vorgaben....

Das ist völkischer Müll. Da fehlten nicht mal die kultischen Männerbünde:
"Ich habe ja schon andere ekstatische Spiele erlebt, aber dieses Synchronisieren mittels Klatschen und Gesang im Wechselspiel zwischen allen vier Tribünen fast gleichermaßen, das bereits anschwoll und immer rauschhafter wurde, als wir noch 0:2 zurück lagen, dieses lustvolle sich hingeben, also, selbst die biedersten Frischgebügelthemdträger links von mir in der Reihe klatschten annähernd ununterbrochen. Dass das ganze Stadion „That’s the way – aha, aha – we like it – aha aha“ mit singt, was ja rhythmisch gar nicht so einfach ist, das meine ich auch nicht erfahren zu haben. Ein Wogen, Wallen, Wellen der Lebenslust trieben die Mannschaft an zu einer Performance, Hallelujah – und wo die Performance einst mal her kommt, das ist ja auch klar"

Super. Dass Höfler diese Männerbünde stark erotisiert sieht ist auch ein uralter Hut- muss aber den Autor dieser Zeilen nicht kratzen:
"Als dann Benny Lauth, der übrirgens mit dem Arsch wackelt beim Gehen wie ich in meinen besten Tagen, hinreißend, sexy, (...)"

Das allein sollte ja ausreichen, um einen alten Antifa und Historiker wie den Che zum Schreien zu bringen. Tut es aber nicht.
Der ist wahrscheinlich im Schockkoma, denn es geht fröhlich weiter durch Zeit und Raum:

"Man muss sich ja klar machen, was dieses blöde Christentum für einen Schindluder getrieben hat, indem es schamanische Traditionen ausgetrieben hat. Das sich trommelnd in Trance tanzen, um imaginierend die Magie der Vorstellung des Besseren im Leben kraft der Liebe zu erzeugen und wirklich werden zu lassen, wurde zugunsten ziemlich lahmen Niederkniens geopfert."

Welche schamanischen Traditionen hat das Christentum denn in Europa abgelöst?
Hier kommt nicht nur das Höflersche Kontinuitätsdenken zum Vorschein, sondern auch noch wildgewordene ethnographische Vergleiche. Woanders trommeln die Leute doch auch, also haben sie das gefälligst hier auch gemacht zu haben. WEnn nur die bösen Christen die Trommeln nicht weggeschlossen hätten...


Wer Räusche sucht ist im Frühchristentum gut bedient, da wurde nämlich an den Gräbern der Märtyrer getrunken und getanzt bis die Frauen Visionen hatten.

Oder er geht ins Hochmittelalter, da heisst das dann
Bibamus in nomine Sanctorum!

Und wer heute so was will besuche eine Pfingstkirche.


Diesen völkischen Kontinuitätsmüll habe ich übrigens hier gefunden
http://metalust.wordpress.com/2011/09/12/von-der-lust-am-geteilten-rausch/#comment-14837


Über die Indien-Idealisierung und den erzkonservativen "früher war alles anders und viel besser"-Ansatz lasse ich mich aus wenn ich fertig gekocht habe.




first_dr.dean am 17.Sep 11  |  Permalink
Hi Cassie!

Ich denke, schon der Klotz "links" bzw. "rechts" ist in diesem Fall imho zu grob. Ich sehe es so: Für den Dings, ein Hardcore-Fan, sind Spiele des St. Pauli ein wirkliches Erlebnis (fast schon eine extatische Messe), warum auch immer.

So weit, so unproblematisch.

Das Spiel, auf das er sich bezieht, war tatsächlich ziemlich sensationell (jedenfalls für Fußballfans), und die Stimmung der Fans im Stadion nicht minder.

Tja - und nun hat der Dings halt Worte für sein tolles Erlebnis gesucht. Cassie, eine gewisse Komik sehe ich hier auch (ähem: nicht zu knapp...), aber andererseits, er drückt doch nur seine Begeisterung über ein Fußballspiel aus.

Cassie, da ist nichts links (was Dings vermutlich anders sehen würde), nichts rechts, und schon garnichts "völkisch". Das ist einfach ein ehemaliger Philosophiestudent mit IQ-Überhang, der seine Begeisterung in Worte zu kleiden versucht hat.

Und obwohl ich solche Massenerlebnisse (wogende Stadien u.ä.) ziemlich skeptisch sehe, es bietet hart arbeitenden Menschen - ganz offenkundig - ziemlich viel Freude, viel Begeisterung, viel Entspannung, und auch viel Ablenkung vom vermutlich weniger aufregenden Alltag.

Ist doch harmlos, oder?

Nun, und der Dings ist zwar manchmal etwas komisch (er schreibt also nicht nur so), aber ist ein Guter - und nun wirklich einige Sternstraßen entfernt von jeglichem völkischen Gedankengut.

Da ich unfreiwillig so eine Art Intimfeind vom Dings bin (ich kann ihn relativ gut leiden, obwohl er etwas schräg ist - umgekehrt hasst er mich), denke ich, dass ich bei dieser Sache eine gewisse "Dings-Kompetenz" habe.

;-)

Dir noch ein wunderschönes Wochenende, Cassie!

cassandra_mmviii am 17.Sep 11  |  Permalink
Die Simplifizierung, Legitimierung und Herleitung von eigenen Lebensverhältnissen aus denen der Vorfahren ist eines der Kernstücke völkischen Denkens, ebenso die Romantisierung der Vergangenheit wie zB das Zusammenleben mit Haustieren.

Ich rezipiere nur Wiworra, Puschner und Co.


Ausserdem muss ich zugeben, dass mich die Konstruktion von Gemeinschaft und deren Mythen über Fussball seit dem "Wunder von Bern" interessiert. Habe über die St-Pauli-begeisterung in der Linken letztens irgendwann einen Artikel in der jungleworld gelesen, der dadrauf hinauslief, dass man eigentlich FC Bayern fan sein müsste und dieses Anhängen an St.P. letzlich was von Nibelungentreue hat.

Auch noch ein schönes Wochenende!
Nett, dich wiedergetroffen zu haben!